Archiv der Kategorie: Hoppla-Moment

Du weißt dass du ein behindertes Kind hast, wenn… Teil 35

#HopplaMoment, wenn…

… wenn man nach 15 Jahren Alltag mehr über das Leben mit Behinderung gelernt hat als in drei Jahren Ausbildung zur Heilpädagogin

… wenn 95% aller Anatomiekenntnisse nicht aus der Schule sondern von Gesprächen mit Ärzten kommen

… wenn „Wunderblume“ ein ziemlich treffender Spitzname ist

… wenn man nach vier Monaten wieder ins Krankenhaus kommt und die Pflegekraft sagt: „hat Judith einen neuen Rollstuhl?“

… wenn dein Kind gleichzeitig (!) inhalieren, Zähneputzen und essen kann (wie das geht: inhalieren übers Tracheostoma, Zähneputzen klassisch und Essen über die Magensonde, geht dann alles parallel)

… wenn man Samstag früh mit Kind in der ärztlichen Bereitschaftspraxis sitzt und nicht klar ist: gehen wir danach dann in den Garten oder auf die Kinder-Intensivstation?

Du weisst dass du ein behindertes Kind hast, wenn…, Teil 34

Hoppla-Moment, wenn…

…wenn man aufgrund der vielen Krankenhausaufenthalte des Kindes und der Erfordernis eines tagesaktuellen negativen Schnelltests jedes Testzentrum auf dem Weg zur Klinik kennt.

… wenn ein Mensch in einer Notfallsituation davon profitiert, dass meine Tochter mit all ihrem Notfall-Equipment in der Nähe ist.

… wenn Du staunend Pflegekräfte (egal ob zu Hause, im Hospiz oder in der Klinik) bewunderst, die effizient und strukturiert pflegen können.

(Ich renne auch nach 15 Jahren noch planlos durch die Gegend, vergess die Hälfte und brauch drei mal so lange 🤷‍♀️)

… wenn du in der Apotheke sagst:

„bei Ihnen im Kühlschrank liegt noch Botox. Das würde ich jetzt gerne mitnehmen“

Apothekerin: „Botox? Für sie oder ihre Tochter?“

(Natürlich für die Kontrakturen von Judith. Ich mag meine Falten…)

…wenn man mit Kind und Gepäck auf dem Klinikparkplatz steht, die Stamm-Reinigungskraft der Station vorbeikommt und fragt:

„Oh je…Kommen sie oder gehen sie?“

„wir kommen“

„🙄“

„🤷‍♀️“

(Echt familiäre Kinderklinik, wenn der Empfang schon auf dem Parkplatz beginnt 😅🙈)

…wenn die Ärztin sagt: „wir haben im Team hin und her diskutiert, ob wir der Judith einen ZVK legen (ein größerer intravenöser Zugang) oder ob wir es bei der Flexüle belassen. Am Ende haben wir uns gedacht, die Mama hat das beste Bauchgefühl, fragen wir die!“

… wenn du den Rasenmäher mit dem Auto zur Inspektion bringen möchtest und die praktische Rollirampe zum reinfahren nutzt…

Du weißt, dass Du ein Kind mit Behinderung hast, wenn… Teil 33

… wenn Dich der Werbungs-Algorithmus entsprechend einsortiert und Du Werbung für Senioren-Treppenlifte bekommst

… wenn Du am Handy „Am“ eintippst und Dir als erstes „Ambubeutel“ als Ergänzung angeboten wird

… wenn Du -weil Du oft lange in der Warteschleife hängst- bei der Warteschleifenmusik der Krankenkasse und Beatmungsfirma die zweite Stimme dazu summen kannst

… wenn Du, würden alle Wartezeiten in Warteschleifen am Telefon auf die Rentenzeiten angerechnet werden, fürs Alter ausgesorgt hättest

… wenn Du noch oft drauf reinfällst und es Dich immer noch irritiert dass Dein Kind im Teenageralter gelernt hat, ERST die Augen zuzumachen und DANN einzuschlafen, nicht mehr andersherum

… wenn der Start in den Tag so aussieht 🙈:

Du weißt, dass Du ein Kind mit Behinderung hast, wenn… Teil 32

… wenn der Kinderorthopäde Dich von hinten mit Mundschutz erkennt und freudig mit Namen begrüßt

… wenn Du (da eh nur im Rollstuhl getragen) die Schuhe Deines Kindes bedenkenlos im Bett abstellen kannst

… wenn du im Ordner „Krankenhausberichte“ eine Unterteilung nach Organen anlegst, um den Überblick zu behalten

… wenn Du die für Dein Kind nicht im Schuhladen kaufst sondern sie vom Sanitätshaus geliefert werden

… wenn Du übrig gebliebenes Natriumchlorid, das sonst verfallen wäre, noch zum würzen in der Küche verwendest

Du weisst… ja was?

Regelmäßigen Bloglesern fällt vielleicht auf, dass ich heute nicht geschrieben habe „Du weißt, dass Du ein besonderes Kind hast, wenn…“. Und nun muss ich etwas ausholen…

Der Blog ist schon ein paar Jahre alt (genau genommen fünf Jahre und zwei Monate). In dieser Zeit hat sich einiges getan, z. B. hat sich auch die Sprache und manche Ansicht gewandelt. Ich empfinde es einfach nicht mehr als zeitgemäß, Judith als „besonders“ zu bezeichnen. Sie ist meine Tochter. Und -damit verblüffen wir immer wieder- sie ist genau so richtig wie sie ist. Ehrlich. (Und natürlich nervt die Behinderung oder das, was ihre Krankheiten mit sich bringen. Darauf hätten wir gerne verzichtet. Ehrlich. Aber Judith gibt es eben nur im Gesamtpaket und da gehören die schweren Dinge auch mit dazu) Wir haben sie total gern und sehen nicht das besondere, sondern all das Schöne, das wir mit ihr erleben.

Dabei jedoch gibt es Situationen, in denen ich stutze und denke: das wär uns jetzt nicht passiert, wenn Judith keine Komplexe Behinderung oder keine chronische Krankheit mit all dem, was da dran hängt, hätte.

Einfach dieser „Hoppla-Moment“, in dem mir mal auf nachdenkliche, mal auf humorvolle Art klar wird: hier gibt es einen Unterschied.

Und diese Unterschiede möchte ich mit Euch teilen. Andere, auch erfahrene Eltern schreiben mir, dass sie viel lachen müssen wenn sie in dieser Kategorie lesen. Anderen wird vielleicht an diesen Stellen etwas klarer, was es bedeutet, wenn ein Kind noch ein paar Extras mitbringt.

Ich werde zukünftig schreiben „Du weißt, dass Du ein Kind mit Behinderung hast, wenn…“. Judith ist nicht besonders, Judith ist mein Kind. Und neben vielen Eigenschaften ist eben eine, dass sie eine Behinderung hat. Es wird sich holpriger lesen, trifft es aber etwas besser. Damit die Beiträge gut in Suchmaschinen zu finden sind, wird die „alte“ Kategorie weiterhin bestehen bleiben, außerdem ergänze ich noch mit „Hoppla-Moment“, unter diesem Hashtag werde ich auch twittern.