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Wie macht Ihr das bloß!? Mit: Unterstützung von Klinik-Mitarbeitenden und Menschen die uns kennen!

Dieser Beitrag ist der letzte Teil der kleinen Reihe „Wie macht ihr das bloß!?„; Strategien für längere Krankenhausaufenthalte.

So, nun ist diese Reihe „Möglichkeiten, einen (un-)geplanten Krankenhausaufenthalt des Kindes zu bewältigen“ auch schon fast zu Ende. Abschliessend möchte ich noch ein paar Worte zu den Menschen um die Familie herum sagen.
Hier geht es zum einen um das Fachpersonal in der Klinik, zum anderen aber auch um Euch: Ihr Freunde, Bekannte, Verwandte, Nachbarn. Es gibt einige Dinge, die jeder tun kann, um es der Familie etwas leichter ums Herz zu machen!

Fachleute:

  • Fachleute entlasten schon ganz viel, wenn sie sich auf die Familie einlassen. Eltern handeln in dieser Situation nicht immer rational, logisch oder sympathisch. Sorry. Wir sind in einer Ausnahmesituation. Im Alltag sind wir alle ganz umgänglich und nett, ehrlich. Auch im Krankenhaus können wir unsere nette Seite besser zeigen, wenn es auf Gegenseitigkeit beruht. Ja, Ihr habt Stress, ja, Kinder und Eltern können nerven. Keine Frage. Aber tatsächlich finden es alle Familien hilfreich, wenn ihnen mit einem Mindestmaß an Freundlichkeit begegnet wird!
  • Versucht, Euch in die Eltern und Kinder hineinzuversetzen: Wie würde es Euch ergehen wenn Ihr in der Situation wärt? Zeigt gerne Verständnis. Unvergessen ist zum Beispiel die Pflegekraft, die in einer sehr schweren Krise einfach mal ihre Hand kurz auf meine Schulter gelegt hat und sagte „Das tut mir sehr leid für sie.“ Oder der Arzt, der nach Worten rang und letztendlich sagte: „Ich habe jetzt Feierabend. Aber Sie sollen wissen, dass meine Gedanken weiter bei Ihnen sind. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“ Die beiden haben sich keinen Zacken aus der Krone gebrochen, mir als Mutter haben diese kurzen Worte jedoch viel bedeutet. Auch ein „hallo“ beim Betreten des Zimmers zeugt von einem Mindestmaß an Respekt (Anklopfen vor Betreten des Zimmers ist in fast jedem Krankenhaus mittlerweile komplett aus der Mode gekommen :-/).
  • „Machen sie auch mal was für sich, sie müssen auch mal an sich denken“ ist ein guter Spruch für Leute mit viel Freizeit in einem Wellness-Hotel. In einem Krankenhaus gegenüber Eltern in einer Ausnahmesituation ist er absolut fehl am Platz. Natürlich merke und weiß ich, dass meine Bedürfnisse grade völlig hinten an stehen, aber so ist es nun mal grade! Ich nehme mir meine kleinen Freiheiten (siehe letzter Beitrag) und schaue, wo ich auf mich gucken kann. Und groß bin ich auch schon 😉 , und kann nach mir selber sehen. Wenn also jemand zu mir sagt „denken sie auch mal an sich“, empfinde ich das nicht als hilfreich, sondern als übergriffig. Es ist eine leere Wortphrase, die nicht sonderlich konstruktiv ist. Ich verstehe den Wunsch aus dem heraus das zu mir gesagt wird; hilfreicher wäre zum Beispiel „wir müssen gleich einen Eingriff/Übergabe/… im Zimmer machen, da würde ich sie bitten raus zu gehen. Ich passe gut auf ihr Kind auf, Sie könnten also gerne auch eine halbe Stunde länger weg bleiben, vielleicht gibt es hier ja in der Nähe etwas, das sie etwas ablenkt?“
  • Erklärt, was gerade passiert. Auch wenn Eltern scheinbar versiert oder abgeklärt sind. Wir verstehen nicht alles was gerade passiert. Also berichtet, wie ihr die Gesamtsituation, den Verlauf einschätzt. Ein kleiner Hinweis, was das jetzt für ein neues Medikament ist oder warum etwas angepasst wird, schafft Sicherheit.
  • Auch gegenüber dem Kind. Natürlich erzählen auch wir Eltern dem Kind was gerade los ist oder sich zu Hause ändert, aber wenn Fachpersonal das dem Kind mitkommuniziert kann es das alles besser nachvollziehen was mit ihm gerade los ist.
  • Bitte, redet mit den Kindern. Gerade nichtsprechende Kinder (sehr kleine Kinder oder Kinder/Jugendliche mit einer Behinderung) werden manchmal wortlos oder auch sehr wortkarg gepflegt. Für die Kinder ist es schwer, alles einzuordnen. Ein kurzer Hinweis „ich mache jetzt…“ schafft Vertrauen und Sicherheit.
  • Findet kurze, kindgerechte Erklärungen und vermeidet brachiale Ausdrücke wie:
    > Wir müssen eine Tropf stechen
    > Ich klau Dir mal Blut
    > Wir legen dich jetzt ins Koma

    sagt lieber (Das sind jetzt Beispiele für jüngere Kinder):
    > Wir brauchen eine Leitung fürs Zauberwasser, das hilft dir, gesund zu werden. Da hab ich hier eine kleine Mücke, kann sein dass die kurz piekt, aber danach hast Du eine coole Tankstelle an der Hand. Das hat nicht jeder.
    > Ich muss einmal was an Deiner Tankstelle zapfen. Das tut dir aber nicht weh. Ich fummel da nur etwas rum.
    > Wir wollen etwas untersuchen. Damit wir dich damit nicht nerven, bekommst du ein Medikament und Du kannst das verschlafen
  • Stimmt Euch untereinander ab, über den Rufnamen, die Geschichte und Diagnosen. Nichts ist für Eltern nerviger, als wenn jede*r (wirklich jede*r!) in seiner Schicht erneut fragt „Was ist der Rufname?“ oder „Wie war die Schwangerschaft?“ (gerne auch nach 14 Jahren noch… Leute, schaut einfach in die Akte, da steht das drin. Da ändert sich auch nichts mehr dran, ehrlich) oder „Mit wieviel Jahren war…?“ „ist sie ihr einziges Kind?“
    All das könnte eine Person erfragen, dokumentieren und alle anderen lesen es einfach nach. Manche Eltern schweigen tatsächlich auch mal ganz gerne und wollen nicht mit jeder Person die Lebensgeschichte bequatschen…

So, und was könnt Ihr, liebe Leser*innen dieses Blogs, tun wenn Ihr eine Familie kennt, dessen Kind häufiger geplant oder akut lange im Krankenhaus sein muss?

Eine Menge!

  • Fragt nach, wie es geht. Jede Familie hat etwas andere Kommunikationswege. Ich zum Beispiel verschicke regelmäßig „Sammel-SMS“, jede/r der/die mag, kann in den Verteiler aufgenommen werden. Das ist dann für mich ein Klick und alle sind auf dem gleichen Stand. Manche antworten dann mit warmen Worten, andere schreiben „Ich weiß gar nicht was ich schreiben soll“. Alles ist ok. Jede Reaktion ist besser als keine.
    Wir freuen uns ebenso über Postkarten im Briefkasten wenn wir von einem langen Klinikaufenthalt nach Hause kommen. Durchhalte-Päckchen sind übrigens die Krönung!
  • Überlegt, wie Ihr konkret Hilfe anbieten könnt. Fragt nach. Je konkreter, desto besser. Ein „Sag Bescheid wenn ich was für Euch tun kann“ ist nett gemeint, aber manchmal fehlt mir die Kraft, mir dann dafür noch etwas auszudenken.
    Unvergessen hingegen ist die Freundin die sagte „Ich möchte gerne für Euch kochen wenn das recht ist. Wann würde es passen und ist […] ok?“
    Es gab weitere Aktionen, die unvergessen sind: Der Obstsalat inklusive Gabel, den ich überraschend im Krankenhaus von einer lieben Person überreicht bekam. Die Freundin, die sich mittags mit mir im Klinikgarten traf und Pizza mitbrachte. Unsere Hauswirtschafterin, die fragte, ob es uns hilft, wenn sie tagsüber die Wäsche auf- und abhängt. Meine Mutter, die sich spontan in den Zug setzt und im Haushalt unterstützt. Judiths Assistentin, die ins Krankenhaus kommt und auch schwere Dinge mit Judith besprechen kann.
    Solche Dinge.

Damit ist diese kleine Mini-Reihe auch schon beendet. Über Ergänzungen als Kommentar oder Mail freue ich mich sehr. Ich hoffe, es waren für den einen oder anderen ein paar Inspirationen dabei.

Wie macht Ihr das bloß!? Strategien für (gestresste) Eltern bei (un-)geplanten Krankenhausaufenthalten

Dieser Beitrag ist Teil der kleinen Reihe „Wie macht Ihr das bloß!?“

Ist das Kind eine Weile im Krankenhaus, kann es auch für Eltern extrem zäh und anstrengend werden. Der immer gleiche Tagesablauf, die emotionale Belastung, das Gebunden-sein an die Klinik kann nerven. Einige Strategien, die mir geholfen haben, möchte ich hier aufzeigen:

  • Wenn es das Kind zulässt, muss man nicht 24/7 am Bett sitzen. Ich nehme mir bewusst Auszeiten. Wenn mein Mann aufgrund der Belastungssituation krank geschrieben ist, können wir uns gut abwechseln. Jeder machte einen halben Tag. Wer den Nachmittag übernimmt, kommt am nächsten Tag früh. So bleibt für jede/n von uns 24 Stunden, in denen man nicht im Krankenhaus sein muss. Noch luxuriöser ist es, wenn es im sozialen Netzwerk Menschen gibt, die ebenso bereit sind, einen halben Tag zu übernehmen.
    Wenn ich mich mittags mit meinem Mann zur Ablösung treffe, nutzen wir die Gelegenheit und machen einen gemeinsamen Spaziergang und besprechen alles was wichtig ist.
  • Die freien Zeiten nutze ich zur Regeneration. Der Haushalt läuft in diesen Zeiten auf Schmalspur. Ich nehme mir bewusst jeden Tag eine kleine schöne Sache vor, z.B. ein Vollbad, mit Freunden essen gehen, abends mit Freunden puzzeln, mit jemandem einen Spaziergang machen, einen Tatort gucken. Irgend etwas, das den Kopf frei pustet…
  • Jeden Tag zum Krankenhaus zu pilgern kann schnell einseitig sein. Daher nutze ich die verschiedensten Verkehrsmittel: Mit Fahrrad, Straßenbahn oder Auto. Auch fahre ich nicht jeden Tag den gleichen Weg, sondern entdecke immer wieder neue Schleichwege. Gerade das Fahrradfahren kann nach langem Sitzen am Bett sehr wohltuend sein.
  • Die Gegend um die Klinik herum habe ich erkundet: Wo gibt es eine abgelegene Sitzbank? Wo kann ich mit Judith gut spazieren gehen? Was kann ich wo kaufen, wo gibt es Mittagessen, welche Restaurants (um abends mit meinem Mann den Tag ausklingen zu lassen) gibt es?
    Auch in der Klinik lohnt es sich, abseitige Wege zu gehen. So haben wir z.B. im Keller eine tolle Fühlwand entdeckt, kennen den Zugang zur Dachterasse und überhaupt: Die entlegensten Toiletten sind die saubersten.
  • Die Mittagspause nutze ich, um z.B. in der Drogerie neues Pflegematerial zu kaufen, um bekotzte Wäsche im Waschsalon zu waschen, oder für eine kleine Mittagsruhe. Hierzu haben wir eine Isomatte und Decken im Auto und ich mache mich dort einfach mal lang 🙂
Bildbeschreibung: ein mit geöffneter Kofferraumklappe Caddy Maxi, Ansicht von hinten. Auf der Ladefläche liegt eine Isomatte sowie zwei Decken und ein Kopfkissen
  • Auch für die eigene Pflege lohnt es sich, einige Dinge dabei zu haben; Ich habe z.B. immer meine Zahnbürste dabei. Nach dem Mittagessen sich die Zähne zu putzen kann unheimlich zum Wohlbefinden beitragen ;-). Auch eine Kopfschmerztablette ist mitunter der Retter in der Not.
  • Die Zimmerbesetzung kann schnell durchwechseln. Daher sollte man gut abwägen, ob man mehr als  „hallo“ und „tschüss“ und „alles Gute“ sagen möchte.
    Ich wäge ab, mit welchen Eltern ich mehr reden möchte und mit welchen nicht. Das mag auf den ersten Blick hart klingen, ist aber gut für die Selbstpflege. Die Geschichten der anderen Kinder können zusätzlich belasten. Wer eher der gesellige Typ ist, kann das auch als Chance sehen und Bekanntschaften aufbauen. Zum einen eben mit Mit-Eltern, aber auch z. B. in der Kantine immer an den selben Platz setzen, oder mal einen netten Wortwechsel mit sympathischen Pflegekräften führen
  • Stichwort eigene Unterhaltung: Wenn das Kind viel schläft, sollte man etwas zur eigenen Zerstreuung parat haben. Meist ist der erste Griff zum Handy (Ladekabel mitnehmen!), aber auch ein gutes Buch (Stichwort Onleihe-App, dann hat man gleich alles auf dem Tablett) oder ein Rätselheft können Abhilfe schaffen. Wir haben auch schon Karten gespielt oder Filme gesehen (in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind viele Sendungen mit Untertitel, dann kann man den Ton auslassen)
  • Und jetzt noch mein Pro-Tipp zum Schluss für alle, denen die harten Stühle auf Dauer zu unbequem sind: Fast jede Kinderstation hat sogenannte „Stillstühle“ da. Das sind sehr bequeme Stühle, auf denen man sogar ein kleines Nickerchen halten kann 🙂

Im letzten Teil dieser kleinen Reihe wird es darum gehen, was die Menschen um eine Familie herum tun können, um einen Krankenhausaufenthalt angenehmer zu gestalten bzw. um Eltern in dieser Aufnahmesituation etwas Last zu nehmen.

Wie macht Ihr das bloß!?Wohlbefinden fürs Kind bei Krankenhausaufenthalten

Dieser Beitrag erscheint in der kleinen Reihe „Wie macht Ihr das bloß!?“

Für Kinder sind Krankenhausaufenthalte in der Regel die absolute Ausnahmesituation und bedeuten Stress. Es gibt jedoch Möglichkeiten, diesen etwas abzufangen. Gerne möchte ich Euch hier „unsere“ Möglichkeiten vorstellen:

  • Vertraute Atmosphäre/Orientierung schaffen. Jedes Kind hat Bezugs-Dinge, die in besonderer Weise Vertrauen schaffen. Für manche Kinder mag das das geliebte Kuscheltier sein. Judith hat einen besonderen Bezug zu ihrer Zimmerlampe.
    Ja, tatsächlich.
    Sie schaut immer wieder sehr bewusst hin, auf die Frage, ob sie ihr gefällt und ob sie ihr wichtig ist, antwortet sie „ja“. Also hat sie eine einlaminierte Karte mit ihrer Lampe, die wir ihr ins Krankenhaus-Bett kleben. So hat sie einen Fixpunkt auf den sie schauen kann um zur Ruhe zu kommen, zumindest etwas.
    Auch Musik kann Geborgenheit schaffen. Judith hat einen MP3-Player, auf dem seit zehn Jahren die gleichen 50 Lieder sind. Eine sehr vertraute Playlist also, die ihr ein Sicherheitsgefühl geben kann. Der MP3-Player liegt mit im Bett und ist so einfach zu bedienen, so dass er auch mal schnell vom Pflegepersonal angemacht wird wenn wir nicht da sind.
Bildbeschreibung: Ein Bettgitter eines Krankenhaus-Bettes, daran hängt eine einlaminierte Karte: Eine leuchtende Zimmerlampe aus Pappmaché (soll einen Planeten darstellen) auf schwarzem Untergrund. Darauf eine weisse Schrift: „Meine Lampe“
Bildbeschreibung: Ein weisser größerer rechteckiger MP3-Player mit blauem Rand. Ganz in der Mitte ein runder orangener Knopf, rechts und links sind zwei halbrunde Knöpfe
  • Auch gemütliches Licht schafft eine vertraute Atmosphäre. Man kann zum Beispiel eine batteriebetriebene Lichterkette ans Bettgitter wickeln oder ein gemütliches Nachtlicht ins Bett stellen
  • Um dem (nichtsprechenden) Kind die Kommunikation zu erleichtern, können Kommunikationshilfsmittel mitgebracht und genutzt werden. Eine einlaminierte Kurzerklärung am Gerät erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Pflegekräfte es nutzen. Im letzten sind diese Kommunikationshilfsmittel für beide Seiten ein Gewinn, auch wenn es zunächst nach Mehraufwand aussieht.
  • Die zeitliche Orientierung kann eingeschränkt sein. Jeder Tag wirkt gleich, die Tage verschwimmen. Ein Kalender, auch z.B. zum ankreuzen oder abschneiden hilft dem Kind, sich in der Zeit zu orientieren. Judith hat eine Pictogenda. Das ist ein symbolbasierter Kalender. Dieser wird täglich gepflegt und der Wochentag wird besprochen (Dieser Kalender ist einfach genial- hierzu wird es noch einen separaten Blogbeitrag geben)
Bildbeschreibung: Ausschnitt aus einem Kalender, darin mehrere Symbole: Krankenhaus, krank, sowie zwei Tapferkeitssterne für Pflasterwechsel und still gehalten beim Waschen und Gelenke durchbewegen
  •  Auch die (Selbst-)Wahrnehmung kann bei einem längeren Krankenhausaufenthalt in Mitleidenschaft gezogen werden. Um das Kind wieder zu „erden“, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Zur Körperpflege kann ein Spiegel mit dazu genommen werden. Mit Baby- oder mitgebrachtem Massageöl kann eine Ganzkörpermassage durchgeführt werden. Weitere Reize können z.B. mit einem Massagestab gesetzt werden. Ein Hand- und/oder Fußbad ist auch im Bett möglich. Buntes Badezeug, Knisterschaum, Badeschwämme,… alles ist möglich.
  • Begrenzte Medienzeiten? Grundsätzlich ja. Aber im Krankenhaus darf gerne eine Ausnahme gemacht werden. Zum Glück haben die meisten Kliniken inzwischen ziemlich stabiles Internet und diverse Mediatheken (ZDFTivi, ARD, Die Maus, …) befinden sich auf dem mitgeführten Tablet. Und zur Zerstreuung darf’s auch gerne das 12 Stunden Lagerfeuer oder eine Aquariumendlosschleife sein, die nebenbei läuft. Auch einfache Spiele sind hier gerne genutzt. Eine Tablethalterung kann das iPad in der richtigen Position halten.
  • Musik kann gut ablenken. Entweder die bereits im letzten Beitrag erwähnte MP3-Playlist oder Radiostreams. Profi-Tipp: Wenn die Musikquelle nah am Ohr steht, kann sie leise laufen und andere Kinder werden nicht gestört.
    Viele Kliniken haben noch den guten alten CD-Player. Ein paar mitgebrachte CDs mit Hörspielen können für eine Weile ablenken.
  • Für Krankenhausbetten gibt es sogenannte „Galgen“, an denen ein Griff hängt an dem man sich festhalten kann. An diesen kann aber auch eine Spieluhr, ein Mobilé oder ein Luftballon mit Glöckchen gehangen werden.
  • Das Kind braucht mal Zeit für sich und keine Reize? Dann bauen wir aus der Decke eine Höhle! In Gitterbetten kann man eine Schnur spannen, über die man ein Laken hängen kann. Fertig ist das Zelt!
  • Wenn das Kind spezielle Eigenheiten hat: diese gut kommunizieren. Judith zum Beispiel baut sich gerne mal ihre Beatmung ab. Das kann Pflegekräfte schnell mal nerven und nicht selten ist es vorgekommen, dass ich morgens kam und die Hände waren fixiert. Ein absolutes NoGo, aber leider oftmals gelebte Praxis.
    Daher kommuniziere ich z.B. bei jeder Aufnahme, dass Fixierungen nur nach Rücksprache mit uns erfolgen dürfen. Weiterhin kommuniziere ich, dass Judith es gut einschätzen kann, wann sie die Beatmung braucht und wann nicht.
    Auch ist Inhalation ein ewiger Kampf. Dieser muss aber nicht mit Gewalt ausgefochten werden, sondern kann auch diplomatisch gelöst werden. Tipps wie das gelingt (z.B. einen Tapferkeitsstern-Sticker in ihren Kalender kleben), habe ich einlaminiert und klebe sie auf das Inhalationsgerät.
  • Für den Fall, dass zu viele Geräusche überreizen, hat Judith einen Lärmschutzkopfhörer. Wird sie gefragt, ob sie ihn möchte, kann sie somit selbstbestimmt die Anzahl der Reize reduzieren.

Beschäftigung:

  • Verwöhnen ist erlaubt! Irgendwie müssen die Tage ja rumgehen und das klappt mit Abwechslung einfach mal besser. Wenn Euer Kind also in Zukunft absehbare Krankenhausaufenthalte hat, könntet Ihr schon vorab die Augen nach kleinem Spielzeug offen halten, das den Krankenhaustag verkürzt. Jeden Tag eine neue Kleinigkeit und alles wird schöner, erträglicher. Ich habe z.B. schon oft am 3. Oder 4. Dezember gezielt reduzierte Adventskalender gekauft, in denen Dinge sind, die zu Krankenhauszeiten nützlich sein können (z.B. Pixibücher, Fidget Toys, Schnickschnackspielzeug, Schleichtiere, kleine Experimente …), auch z.B. jeden Tag eine kleine Süßigkeit, wenn es die Umstände zulassen, kann den Tag einfach mal erträglicher machen.
  • Spielzeug austauschen. Jeden Tag gibt es ein anderes Spielzeug, das es am Vortag nicht gab. Das schafft Abwechslung.
  • Im Spielzeugrucksack befindet sich ausschließlich Spielzeug, das nicht verschluckbar und gut abdesinfizierbar ist, kurzum: ungefährliches Beschäftigungsmaterial. Dieser hängt am Bett und die Pflegekräfte können Judith daraus etwas geben, auch wenn ich nicht da bin.
  • Da die Konzentration in Krankenhauszeiten oftmals leidet, eignen sich zum Vorlesen ganz stringente Geschichten (z.B. Fünf Freunde) oder seichte Kurzgeschichten. Super sind auch Kinderzeitschriften mit dem Lieblingsthema des Kindes (z. B. Geolino, Lego, …). Diese kann man auf Flohmarkt-Portalen jahrgangsweise kaufen und hat so einen reichhaltigen Fundus.

Im nächsten Beitrag wird es dann um Strategien für (gestresste) Eltern gehen.

Wie macht Ihr das bloß!? Organisatorische Möglichkeiten, einen Krankenhausaufenthalt zu erleichtern

Dieser Beitrag ist in der Reihe „Wie macht Ihr das bloß!?“ erschienen.

Folgende organisatorische Möglichkeiten haben wir mit den Jahren entwickelt, um einen Krankenhausaufenthalt möglichst reibungslos zu gestalten:

  • Judith hat eine Dokumententasche, in der alle ihre Karten und Ausweise sind, also z.B. Implantatspass, Krankenversicherungskarte, Röntgenpässe (ja, Mehrzahl…). In der Medikamententasche, die immer am Rollstuhl ist, befindet sich auch der jeweils letzte Arztbrief und immer ein aktueller Medikamentenplan. Auf dem Medikamentenplan ist zusätzlich in Kurzform vermerkt, was pflegerisch wichtig ist und wie die Ernährung erfolgt.
    Solche Dokumententaschen gibt es vor allem vor den Sommerferien überall zu kaufen, das Stichwort ist „Tasche für Reisedokumente“.
  • Alles, was für einen (un-)geplanten Krankenhausaufenthalt benötigt wird, steht stets bereit: Wir haben die Geräte und Dinge, die mitgeführt werden müssen, in Kisten.
    Es gibt z.B. eine Kiste für die Beatmung, eine andere, in der der Cough Assist steht. Und es gibt eine „Alltagskiste“.
    Darin befinden sich zum Beispiel:
     > Medikamente für die ersten Tage, vor allem seltenere
     > Pflegemittel in Reisegröße
     > Kleidung
     > etwas Spiel- und Beschäftigungsmaterial
     > Trinkbecher für mich
    Diese Kisten können wir auf ein Trolleygestell stapeln und sind so in wenigen Minuten komplett startklar fürs Krankenhaus.
  • Bewährt hat es sich, alles immer nach dem gleichen Prinzip in den immer gleichen Taschen und Kisten zu verpacken. So wissen z.B. alle Pflegekräfte: im gelben kleinen Rucksack ist Spiel- und Beschäftigungsmaterial, das sie Judith geben können, wenn keiner von uns da ist
  • Gerade bei speziellen Anforderungen ist es gut, eigenes Equipment dabei zu haben. Zum Beispiel reagiert Judiths Haut sehr auf Silikone. Ist sie auf das Stationsbeatmungsgerät angewiesen, wäre es also gut, wenn sie die gewohnte Beatmungsmaske von zu Hause nehmen kann. Diese kann jedoch nur mit einem speziellen Adapter verwendet werden. Somit befindet sich im Krankenhausgepäck immer ein entsprechender Adapter, gut gekennzeichnet für alle. Dieser hängt immer an ihrem Beatmungsgerät, alle Beteiligten werden immer wieder darin eingewiesen.
    Auch gibt es in Krankenhäusern grundsätzlich irgendwie nur Blasenkatheter in Charrière 6 oder 20. Für Laien: das ist Neugeborenengröße  (tröpfelt eeeewig) bzw. ein Rohr (autsch). Da beides nicht alltagstauglich ist, sind immer einige passende Katheter in der Krankenhauskiste.
  • Nicht alles muss man mitnehmen, vieles hat eine Kinderstation auf Nachfrage auch vorrätig. Auf „unserer“ ITS gibt es zum Beispiel: Fön, Vibrationsstab, Toniebox, Radio und CDs, Verlängerungsschnur, Spielmaterial, Lagerungshilfsmittel, … Auf diese Dinge können wir bei Bedarf und auf Nachfrage gerne zurückgreifen.
  • Es kann hilfreich sein, für die Pflege spezielle Kleidung mitzubringen. Ein Krankenhaushemdchen ist zwar immer da und auch schnell angezogen, aber auch nicht wirklich schön, geschweige denn angenehm darin zu stecken. Abhilfe kann z.B. der Schlafanzug von Marks&Spencer schaffen. Dieser ist (vor allem gefärbt oder gebatikt) einigermaßen kleidsam, außerdem kann man ihn überall aufknöpfen und Kabel und Schläuche lassen sich gut integrieren.
  • Manches gibt es aber auch nicht oder man möchte gerade in dieser Ausnahmesituation gewohntes nutzen. Ich zum Beispiel komme gar nicht an diese Krankenhaus-Einmal-Waschlappen dran. Diese sind mir absolut zuwider, da sie das Wasser nicht gut aufnehmen. Also hat Judith immer eigene Waschlappen dabei. Oder: andere Kinder brauchen ihr eigenes Kopfkissen. Warum nicht? Es wird also mitgebracht.
  • Um mehr Privatsphäre gerade bei der Pflege zu haben, gibt es auf vielen Stationen auf Nachfrage Sichtschutzwände.
  • Mit der Zeit sammelt sich durchaus eine Menge Equipment im Zimmer an, das man zwar grundsätzlich braucht, aber eben nicht immer. Hier gibt es für uns mehrere Möglichkeiten, die Dinge zu verstauen: Entweder gibt es einen zusätzlichen Nachttisch, der in eine Ecke geschoben wird. Oder Ich lasse die Sachen (z.B. Wechselkleidung) im Auto und hole sie bei Bedarf. Oder ich nehme einen Spind in der Elternschleuse dafür.
  • Visiten sind oft kurz, oben auf liegende Fragen fallen einem in diesem Augenblick oftmals nicht ein. Daher notiere ich mir Fragen vorab oder bitte die Pflegekräfte, zu diesem oder jenem Thema Rücksprache mit den Ärzten zu halten
  • Sowieso ist es wichtig, Wünsche und Vorstellungen zu kommunizieren bzw. sich abzustimmen. So muss ich mich nicht unnötig aufreiben an Problemen, die mit Absprachen überhaupt gar nicht erst entstanden wären. Bestes Beispiel ist das Thema „waschen“. Da können es Pflegekräfte eigentlich nur falsch machen… Die einen Eltern schimpfen „weil mein Kind ohne mich zu fragen einfach schon gewaschen wurde, das wollte ich doch machen“, die anderen schimpfen weil „Die Pflegekräfte sind faul. Selbst das Waschen wird mir überlassen.“ Und vermutlich steckt hinter beiden Handlungsweisen der Pflegekräfte nur ein guter Wille: Entweder das den Eltern schon mal abzunehmen oder den Eltern ermöglichen, diese Pflegemaßnahme selber durchzuführen. Alles hat seine Berechtigung und mit Kommunikation der eigenen Vorstellungen entstehen hier auch keine Konflikte.
  • Geht es Richtung Entlassung und steht der Medikamenten- und Ernährungsplan, schreibe ich ihn mir schon einen Tag vorher auf und bereite einen eigenen Medikamentenplan zur Unterschrift vor.

Im nächsten Beitrag berichte ich, wie man Krankenhausaufenthalte für das Kind so angenehm wie möglich gestalten kann.

Längere Krankenhausaufenthalte meistern

Bei einer Körperbehinderung oder chronischen Erkrankung werden oftmals Krankenhausaufenthalte notwendig; sei es zur Diagnostik, geplanten Behandlung von auftretenden Schwierigkeiten oder auch Aufnahmen aufgrund akuter Problematiken.

Und dann schrumpft die bunte Alltags-Welt auf ein Krankenzimmer, ja auf ein Krankenbett zusammen.
Nicht nur die gewohnte Umgebung bricht weg, auch gewohnte Abläufe entfallen. Die Selbstbestimmung geht oftmals flöten, denn es geschehen einem Dinge, die man nicht beeinflussen kann.
Gerade für Kinder oder Menschen mit zugeschriebener geistiger Behinderung kann dies eine große Herausforderung darstellen.
Judith ist sicher ein Extremfall mit ihren rund 50 stationären Aufenthalten allein wegen der Atmung (und da sind alle anderen Infekte noch nicht drin, genauso wenig Kontrollen, Operationen oder andere Katastrophen). Dadurch hatte ich viel Gelegenheit mir zu überlegen, wie so ein Krankenhausaufenthalt so reibungslos wie möglich gestaltet werden kann. Denn auch wenn vieles nicht änderbar ist, so kann man doch die Dinge die beeinflussbar sind, fürs Kind bestmöglichst gestalten.

Vorweg schieben möchte ich, dass die Lösungswege höchst individuell sind, und unsere persönliche Situation abbilden. Jedoch lässt sich hoffentlich für jede*n Betreffenden etwas daraus mitnehmen. Wenn Ihr noch weitere Ideen habt, schreibt gerne einen Kommentar oder eine Mail.

Um unsere individuellen Lösungswege einordnen zu können, möchte ich kurz die Situation in die und aus der Judith kommt, beschreiben:
Wir sind in der glücklichen Situation, in relativer Nähe zu einer Klinik mit einer geeigneten Kinderintensivstation zu wohnen, die sehr viele Bereiche aus Judiths Diagnosenliste gut abdecken kann. Judith bleibt nachts alleine dort, tagsüber ist jemand von uns oder eine ihr vertraute Bezugsperson da. Ist Judith emotional stabil, ziehe ich mich zur eigenen Regeneration auch tagsüber phasenweise heraus. Wir als Familie sind gut mit den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen und Gepflogenheiten der Station vertraut. Ebenso ist uns das Personal gut bekannt. Sie kennen Judiths Schwierigkeiten gut und haben bewährte Strategien, diese abzumildern. Ich muss bei Aufnahme also nie „bei null“ anfangen, sondern es läuft mit einer für alle Seiten vertrauten Routine ab.
Es  gibt es also meist schon einen großen Fahrplan sowie einen Medikamentenplan im PC, ein perfekt vorbereitetes Bett mit dem üblichen notwendigen Equipment, Mitarbeitende die ein nettes, vertrautes Wort übrig haben und wissen, was sie wie bei Judith machen können. In gewisser Weise ist es also fast ein zweites Zuhause.

Jedoch bringt ein Krankenhaus per se „Störfaktoren“ mit sich, die ein „sich wohl fühlen“ erheblich beeinträchtigen können:

  • Unwohlsein aufgrund der Krankheit
  • Schmerzhafte Eingriffe, z.B. Blut abnehmen
  • Anders ablaufender Alltag, fehlende Selbstbestimmung aufgrund von erforderlichen Pflegemaßnahmen (auch im Schlaf), Geräuschen wie z.B. piepende Perfusoren oder Alarme des Monitors, dadurch Unruhe
  • Fehlende Privat- und Intimsphäre im Vierbett (!)-Zimmer
  • Emotionale Belastung durch unklare Prognosen oder Rückschläge
  • Erzwungenermaßen Anteilnahme am Leiden anderer Kinder da diese laut weinen oder intensive pflegerische und ärztliche Interventionen erforderlich sind (Intensivstation halt…)
  • Die (Selbst)wahrnehmung ist beeinträchtigt aufgrund fehlender Eindrücke, Reize werden anders wahrgenommen

Das alles bedeutet Stress fürs Kind, aber auch für die Eltern. Daher stelle ich Euch in den folgenden Beiträgen Strategien vor, den Stress für alle Beteiligten zu verringern. Gegliedert ist das in:

  1. Organisatorische Möglichkeiten, einen Krankenhausaufenthalt zu erleichtern
  2. Wohlbefinden fürs Kind bei Krankenhausaufenthalten
  3. Strategien für (gestresste) Eltern bei (un-)geplanten Krankenhausaufenthalten

Und abschließend wird es noch einen vierten Punkt geben, nämlich

  • Unterstützung von Klinik-Mitarbeitenden und Menschen die uns kennen in längeren Krankenhauszeiten

Hier wird es speziell darum gehen, was Angestellte einer Klinik tun können damit sich das Kind wohl fühlt.   Weiterhin seid Ihr als Blog-Leser angesprochen, denn auch Umstehende können mitunter mit ihrem Verhalten die (emotionale) Belastung mit abfedern.

Der nächste Beitrag wird sich zunächst mit den organisatorischen Möglichkeiten befassen, einen Krankenhausaufenthalt zu erleichtern.

„Wie macht Ihr das bloß!?“ individuelle Ressourcen

„Wie macht Ihr das bloß!?“ Herzlich willkommen zum letzten Beitrag der kleinen Mini-Reihe zum Thema Alltag. Letzte Woche ging es um Ressourcen aus der Gesellschaft, dieser Beitrag wird sich den individuellen Ressourcen widmen, die ich über die Jahre entwickelt bzw. aktiviert habe und mit denen wir gut durch den Tag kommen.

Viel Erleichterung schafft ein strukturierter Alltag. Ja, dass ich so etwas mal schreiben würde, hätte ich vor 13 Jahren auch noch nicht geglaubt. Wer mich von ganz, ganz früher kennt weiß, dass ich das mit dem Organisieren erst mal lernen musste. Vor Judiths Geburt hatte ich noch nicht mal einen Kalender und kam damit gut durchs Leben. Ich hab ziemlich verpeilt in den Tag gelebt. Heute ist das unvorstellbar. Um all die Termine zu koordinieren (inkl. Wer übernimmt den ausgefallenen Nachtdienst weil er am nächsten Tag ausschlafen kann?) haben wir als Familie einen gemeinsamen digitalen Kalender. Jedes unserer digitalen Endgeräte kann darauf zugreifen. Auch der Pflegedienst kann auf alle Termine die Judith betreffen zugreifen.
Termine versuchen wir zu bündeln. So werden z.B. Facharzttermine kombiniert: erst in die Neuropädiatrie, danach in die Orthopädie und dann noch n Herzultraschall hinterher. Solche Tage sind mega-anstrengend, aber dann ist es halt einmal anstrengend und nicht mehrmals hintereinander. Gut ist daher, an ein Zentrum angebunden zu sein, in dem es eine umfassende Versorgung gibt. In unserem Fall ist es die Uniklinik. Ich kenne Eltern, deren Kind „nur“ ein einzelnes Spezialbedürfnis hat, die nehmen hierfür auch weitere Strecken auf sich. Das geht in Judiths komplexen Leben leider so nicht, mit einer Versorgung in der Heimatstadt überwiegen in unserem Fall aber auch eindeutig die Vorteile der kurzen Wege und der zentralen Anlaufstelle.
Letzte Woche erzählte ich bereits, dass wir Versorgungen z.B. durch den Homecare-Provider und die Apotheke aus einer Hand haben. Das hat praktische Vorteile. Auch in Bezug auf Reha- und Orthopädietechnik gibt es ein Sanitätshaus, das alle Bereiche abdeckt. So nutze ich die Zeit, in der am Stehtrainer geschraubt wird, um mit dem Techniker schon mal über die Ausstattung des neuen Rollstuhls zu sprechen (es hat sich für uns als sehr praktisch erwiesen, dass das Sanitätshaus und die Beatmungsfirma direkt in unserer Stadt sind).

Um all diese Ansprechpartner zu finden, ist Vernetzung hilfreich. Innerhalb unserer Stadt kennen wir mehrere Eltern, die ein Kind mit ähnlichen Bedürfnissen haben. Es besteht ein Austausch über hilfreiche Ansprechpartner und Anlaufstellen. Die Kontakte hat damals die Frühförderstelle vermittelt. Aber auch bei Schulveranstaltungen, Arztterminen oder Krankenhausaufenthalten hat der eine oder andere Smalltalk schon wertvolle Informationen gebracht. Das Internet bietet eine Fülle an Informationen, auch kann es sinnvoll sein, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Inwieweit man sich in diese Dinge reingeben will, ist individuell. Es ist möglich, rein aus solidarischen Gründen einer Interessensgruppe beizutreten (z.B. Sichtbarkeit in der Gesellschaft, Interessensvertretung, …), man kann auf niedrigem Niveau an Veranstaltungen teilnehmen, sich am Austausch beteiligen und wer ganz ambitioniert ist, übernimmt ein aktives Amt in einer solchen Gruppe/Verein. Alles kann, nichts muss. Hilfreich ist es allemal.

Einige der Tipps, die ich über diese Wege bekam, sind im Alltag eine große Stütze. So haben wir über die Jahre viele Abläufe optimiert bzw. an unseren Bedarf angepasst. Im Zuge der ketogenen Diät hat es sich z.B. bewährt, die Mahlzeiten komplett vorzukochen und einzufrieren. Hier habe ich mit meiner Freundin eine Routine entwickelt, die vermutlich jeder Großküche Konkurrenz gemacht hätte ;-)).
Wir versuchen, mit möglichst wenig Aufwand durch den (Pflege-)Tag zu kommen. Anstatt nach dem Essen noch mal ins Bad zu rangieren, putzen wir die Zähne nach dem Essen gleich am Tisch. Um am Wochenende tagsüber nicht ne halbe Stunde mit Medikamente-stellen zu verbringen, bereitet uns diese der Nachtdienst vor. Auch der Pflegewagen wird durch den Nachtdienst aufgefüllt so dass sich die Pflegeperson tagsüber um so etwas nicht noch kümmern muss.
Das sind Kleinigkeiten, die doch sehr den Alltag erleichtern.

Auch durch Ausstattung/ entsprechende Umgebung kann man Lebens- und Pflegequalität steigern. So hat in Judiths Zimmer vom Pflege- über den Gerätewagen, dem Hocker bis hin zum Mülleimer alles Rollen drunter, so dass schnell mal Platz geschaffen werden kann.
Oder: Judith war vom Licht des Nachtdienstes gestört. Damit also der Pflegedienst sich Licht machen kann und Judith im Dunkeln schlafen kann und das alles in einem Zimmer geht ein lichtdichter Vorhang quer durchs Zimmer. Geht die Pflegekraft aus dem Zimmer, nimmt sie den Monitor vom Video-Babyphon mit und hat Judiths Werte auf dem Pulsoximeter trotzdem im Blick.  

Um nicht jedes Mal ein neues Entschuldigungsschreiben zu verfassen wenn Judith in der Schule krankheitsbedingt gefehlt hat, habe ich hier ein vorbereitetes Schreiben, auf dem ich nur noch ankreuzen muss. Faulheit in Vollendung.

Ihr habt nun einige Einblicke bekommen darein, wie wir „das“ so machen. Was ebenfalls zur Lebensqualität beiträgt ist das Pflegen gemeinsamer Familienhobbies. Und damit schließt sich der Kreis zum ersten Beitrag. In erster Linie sind wir Familie, Judith ist eine junge Heranwachsende mit entsprechenden Bedürfnissen. Diesen kommen wir nach, indem wir gemeinsame Familienhobbies und -rituale pflegen: lange Fahrradtouren, Spaziergänge im Wald, im Garten unterm Baum liegen, Mittagsschlaf im großen Bett oder der chillige Videonachmittag.

Und damit beende ich diese Reihe. Gibt es Punkte aus Eurem Familienleben, die Ihr gerne teilen möchtet? Dann schreibt gerne einen Kommentar oder kommentiert auf Twitter.

„Wie macht Ihr das bloß!?“ gesellschaftliche Ressourcen

„Wie macht Ihr das bloß!?“
Letzte Woche stellte ich in der kleinen Serie die Ressourcen aus dem persönlichen/ privaten Umfeld vor, diese Woche geht es um gesellschaftliche Ressourcen.

Auch hier ist der allererste Schritt sich zu überwinden und Angebote anzunehmen. Es gibt eine Vielzahl von Unterstützungsmöglichkeiten und Töpfen, diese alle zu nennen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Jedoch möchte ich einen Einblick geben, wie es in unserem Beispiel aussehen kann. Unser Weg ist auch hier wieder zu schauen, was uns in unserer individuellen Situation unterstützen kann.

In den ersten Jahren hatte ich oft Skrupel: „Wie viel das schon wieder die Gesellschaft kostet… brauchen wir das wirklich?… Sind andere nicht viel bedürftiger als wir? … “. Jedoch sagte eine andere Mutter mal: „Diese Töpfe wurden nicht ohne Grund eingerichtet. Das Geld ist einzig allein dazu da, um genutzt zu werden.“ Es ist kein Almosen, sondern eine Leistung, die eingerichtet wurde, um sie abzurufen. Und wenn ein Pflegegrad festgestellt wurde, dann ist davon auszugehen, dass auch ein Bedarf für die sonstigen Leistungen besteht. Mit dieser Einstellung fiel es mir dann auch leichter mich auf diese Angebote einzulassen.

Wir rufen lange nicht alle Leistungen ab, die möglich wären. Wir schauen was wir brauchen und was uns hilft und das nutzen wir.

Das sind zunächst einmal die „Töpfe“ die für jedes Kind bereitgestellt werden und die auch Judith durchläuft: Betreuung durch eine Tagesmutter, später Kindergarten, jetzt Schule. Für mich sind das Zeiten, in denen mal keiner in der Wohnung ist, Zeiten, die ich mal zum Arbeiten, mal zur Hausarbeit oder auch zum Kraft tanken genutzt habe und aktuell auch nutze.
Für Judith ist es eine großartige Chance, außerhalb der eigenen vier Wände soziale Kontakte zu leben und sich persönlich weiter zu entwickeln.

Eine große Unterstützung im Alltag ist für uns alle der Pflegedienst, der aufgrund des Intensivpflegebedarfs über viele Stunden des Tages da ist und uns all das „medizinische“ abnimmt, so dass wir uns wieder mehr aufs Eltern-sein konzentrieren können.

Da Judith definitiv lebenszeitverkürzt erkrankt ist und wir uns immer wieder mit dem frühen Tod auseinandersetzen müssen, haben wir eine enge Bindung an das Kinderhospiz Bärenherz. Als die Pflegesituation einen Umzug erforderte, zogen wir sogar bewusst nach Leipzig, um näher am Bärenherz zu sein. Das Kinderhospiz unterstützt uns sehr praktisch im Alltag. Zum einen hat Judith hier einen Ort, an dem sie auch mal ohne Eltern sein kann. Immer wieder übernachtet sie dort. In diesen Zeiten können wir Dinge erledigen zu denen wir sonst nicht kommen würden, z.B. Wohnung streichen oder wegfahren und bei Menschen in der dritten Etage ohne Aufzug übernachten. Über das Kinderhospiz hat sie eine ehrenamtliche Begleiterin, die regelmäßig etwas mit ihr unternimmt.

Wir nutzen die Möglichkeit der Verhinderungspflege. Derzeit kommt unsere Freundin Julia einmal wöchentlich und assistiert Judith vor allem beim Konfirmandenunterricht, finanziert durch Leistungen der Pflegekasse. Sie springt ein wenn wir verhindert sind, übernimmt Pflegemaßnahmen und ist Judith eine treue Freundin.

Eine weitere riesige Entlastung ist die Nutzung „haushaltsnaher Dienstleistungen“ über das Entlastungs-Budget. Im Klartext heißt das für uns: einmal in der Woche kommt eine liebe Frau zu uns, die unsere Wohnung reinigt, darüber hinaus manchmal auch noch Wäsche mit versorgt und ab und zu auch den Balkon nett gestaltet.

Neben diesen Möglichkeiten gibt es auch Menschen, die ihren Job einfach richtig gut und gewissenhaft ausführen. Es ist so z.B. eine Erleichterung ein Sanitätshaus zu haben das sich gut kümmert und mitdenkt. Gut eingestellte und gewartete Hilfsmittel (Rollstuhl, Stehtrainer, Therapiestuhl, Lifter, Badeliege, Pflegebett,…) erleichtern den Alltag sehr.

Judiths Kinderärztin ist eine echte Perle und ich bin froh, dass wir sie gefunden haben. Sie hat die Lage erfasst und ist sehr zuverlässig ansprechbar. Das geht, weil sie uns ihre direkte Durchwahl gegeben hat, auf Emails zuverlässig antwortet und auch recht unkompliziert Hausbesuche ermöglicht. In früheren Zeiten hatte Judith auch schon Kinderärzte, bei denen das nicht so war. Die Konsequenz war für uns jemanden zu finden, der hier bedarfsgerecht betreuen kann.

Judith hat ziemlich viele monatliche Verbrauchsmaterialien: Katheter, Desinfektionsmittel, Tupfer, Sondenspritzen, Sondenzubehör,Inkontinenzmaterial, … Es gestaltete sich zunehmend nicht mehr umsetzbar, für jeden Artikel ein Rezept zu besorgen und diesen einzeln aus der Apotheke zu beziehen. Daher haben wir uns eine Fachfirma, einen sogenannten Homecare-Provider gesucht, der alles aus einer Hand beliefert. Die Außendienstmitarbeiterin kommt regelmäßig um zu besprechen was benötigt wird, kennt sich gut mit allen Produkten aus und besorgt sich hierfür gebündelt die Rezepte und dann werden die Sachen geliefert.

Die Apotheke ist auch ohne diese Aufgabe gut mit Judiths Bedarf ausgelastet. So sehr, dass wir einen persönlichen „Bezugs-Apotheker“ haben. Dieser ist unser Ansprechpartner wenn wir die Apotheke betreten, kennt Judiths Medikamentenplan und kümmert sich um die Organisation der Medikamente (was nicht heißt, dass wir bei den vielen anderen Mitarbeitenden unbekannt wären ;-)).
Über eine Apotheken-App übermittle ich ihm, welches von Judiths 17 Dauermedikamenten alle wird. Er fordert bei der Kinderärztin ein Rezept an, das ihm direkt in die Apotheke geschickt wird. Dann kann das Medikament bestellt werden und ich erhalte per App die Info, dass alles abgeholt oder geliefert werden kann. So wird mir eine ganze Menge Arbeit abgenommen (zum Kinderarzt fahren, zur Apotheke fahren).

Bei all diesen Menschen/Institutionen haben wir teilweise lange gesucht bis wir die für uns passenden Ansprechpartner gefunden haben.

Soweit zu einem kleinen Einblick in die Ressourcen im Umfeld. Nächste Woche kommt der letzte Teil dieser kleinen Serie, die persönlichen Ressourcen bzw. eine erleichternde Alltagsorganisation.

„Wie macht Ihr das bloß!?“ Ressourcen in persönlichen Umfeld

2) Ressourcen im persönlichen Umfeld

„Wie macht Ihr das bloß!?“ Letzte Woche ging es um die eigene Haltung, diese Woche stelle ich Euch die Ressourcen aus unserem persönlichen Umfeld vor.

Es gäbe viel zu meckern über vorhandene und nicht vorhandene Strukturen, keine Frage (meckern geht ja immer ;-)). Jedoch möchte ich, anschließend an den Beitrag der vergangenen Woche, in dem es um die eigene Haltung ging, auf das schauen, was da ist und wie ich es in unserer individuellen Situation nutzen kann. Es fängt im Kleinen an, in der Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft.
Schritt 1 ist tatsächlich sich erst mal zu überwinden, diese Hilfsangebote anzunehmen.

Ich denke da an meine Schwester, die, als Judith zum ersten Mal im Krankenhaus war, sich postwendend auf den Weg machte, 500 km durch Deutschland fuhr, um uns beizustehen.

Meine Mutter, die auch weit weg wohnt, aber wenn sie da ist, unaufdringlich mit anpackt.
Gut ist, wenn die Angebote konkret sind. Mit „Melde Dich, wenn ich etwas für Dich tun kann…“ ist mir nicht geholfen. Aber: Da war mal eine Freundin, die aufrichtig fragte wie es uns geht. Ich antwortete ziemlich ehrlich, dass wir gerade einen Durchhänger haben. Sie stellte die nächste Frage: „Wann passt es, dass ich Euch ein Mittagessen rumbringe?“ Meine Antwort war die Uhrzeit. Ich hätte auch sagen können: „gar nicht.“ Aber als sie mit dem Korb voller Essen vor der Tür stand wurde es mir ziemlich warm ums Herz :-).
Da gab es die Zeit der ketogenen Diät. Das bedeutete, jedes Essen grammgenau berechnen, spezielle Zutaten zu kaufen und das Essen penibel abgewogen vorzukochen. Ein Aufwand, der den von Eltern gesunder Kinder locker übersteigt. Und da gibt es die Freundin, die mit mir über zwei Jahre lang alle zwei Wochen einen Vormittag das Vorkochen durchführte. Wir hatten in dieser Zeit nebenbei viel Spaß und anregende Gespräche.
Da gibt es die Nachbarn, die uns die Straße entlangkommend von weitem sehen und schon mal die Tür aufstellen und die Rampe anlegen.
Es gibt die Familien-Freundinnen, die mit in den Urlaub kommen und mit denen wir uns die Pflege teilen so dass es für alle eine erholsame Zeit wird.

Wichtig ist bei all diesen Unterstützungsangeboten, dass sie am Bedarf orientiert sind und nicht übergriffig sind. In der Regel beobachteten diese Menschen vorher, was wir brauchen und fragten nach, ob es so in Ordnung ist.

Solltest Du diesen Artikel lesen und nicht selbst in einer Situation mit einem Kind mit Behinderung stehen aber jemanden kennen der sich vielleicht über Support freut: je praktischer und konkreter, desto besser. Wenn Ihr ein offenes Verhältnis habt, bekommt Ihr gut mit wo es „hakt“ und wo ihr ein Angebot machen könntet.

So, das war Teil zwei dieser kleinen Serie. Nächste Woche geht es um gesellschaftliche Ressourcen…

„Wie macht Ihr das bloß!?“ Einstellungen und eigene Haltung

Letzte Woche startete ich diese kleine Reihe unter der Überschrift „Wie macht Ihr das bloß!?“. In dem ersten inhaltlichen Beitrag wird es diese Woche um Einstellungen und die eigene Haltung gehen.

Mir persönlich geht vieles leichter von der Hand, wenn ich der Aufgabe gegenüber entsprechend eingestellt bin. Das Leben mit Judith sehe ich als „Aufgabe“, aber eben nicht als schwere, belastende Aufgabe, sondern als Aufgabe als Mutter, die ein Kind hat. Ich weiß noch, als ich in einer Runde mit Eltern saß die alle ein Kind mit mehrfachen Behinderungen haben. Es ging um das schwere Leben, die Last. Irgendwann sagte ich: „Nö“. Alle schauten mich an. „Meine Tochter ist genau so ok, so wie sie ist. Wir leben gerne mit ihr!“. Schweigen. Offene Münder. Unglaube.
Aber es ist so. Judith ist ein klasse Kind!
Unser Blick geht zum Kind und weg von der Behinderung. Sie ist zwar ein Teil ihres Lebens, aber eben auch nur ein Teil. Judith hat viele tolle Eigenschaften, z.B. ihre Nachsicht, Offenheit, Zugewandtheit, ihr weites Herz. Wir mögen ihre interessanten Geräusche, die nur sie kann. Sie darf gute Laune haben und schlechte. Sie darf von uns genervt sein oder uns anstrahlen. Einfach, weil sie unser Kind ist. Wir sehen nicht die Last, sondern die Möglichkeiten. Die Behinderung ist im Hintergrund, im Vordergrund steht sie als Mensch.

Daher ist für uns nicht im Fokus, eine vermeintliche Normalität anzustreben und dieser hinterher zu trauern sondern mit dem zu leben, was wir haben. Durch die eine andere Blickrichtung, durch eine veränderte Haltung kann vieles leichter von der Hand gehen. Wir wollen es uns bei allen Zusatz-Komplikations-Fallstricken möglichst unkompliziert machen und das Maximum an Lebensqualität rausholen. Daher leben wir mit großem Mut zur Lücke. Logopädie und Ergotherapie ist sicher auch ganz wichtig, entfällt aber, da Judith auch gerne etwas Freizeit hat. Wir könnten Spenden für eine Delfintherapie sammeln, jedes Jahr zur Reha fahren oder ein tägliches Förderprogramm durchziehen. Tun wir nicht. Wir wollen Alltag und ein möglichst entspanntes Leben für sie. Natürlich gibt es Dinge die unerlässlich sind. Da Judith ein großes Atemproblem hat und Atmen existenziell wichtig ist, hat sie Atemtherapie. Daran ist auch nichts zu rütteln. Aber da, wo es geht, machen wir eben Abstriche.
Wir schließen Kompromisse zugunsten einer höheren Lebensqualität.

Auch in anderen Bereichen hilft uns Pragmatismus: So ist unsere Devise, pflegerisch nur das zu machen was wirklich notwendig ist. Ein Beispiel: Judith findet Umziehen ziemlich nervig, für uns ist es aufgrund ihrer Größe auch zunehmend ein Kraftakt. Also sparen wir auch hier ganz pragmatisch Ressourcen: Am Wochenende ist der „Schlafanzugtag für alle“ legendär. Oder: Wenn das (bequeme) Oberteil vom Tag noch ok ist, bleibt es zur Nacht gleich an, einmal Umziehen gespart.
Ein weiteres Beispiel: Judith wird vier mal täglich katheterisiert. Das bedeutet konkret: Judith aus dem Rolli aufs Bett hinlegen, untenrum komplett ausziehen, katheterisieren, komplett wieder anziehen, zurück ins Sitzen transferieren. Zeitaufwand locker 20 Minuten. Auf einer Fahrradtour müssten wir sie mit unserer Kraft aus dem Anhänger heben, eine Bank finden die diskret im Abseits steht und dann unter erschwerten Voraussetzungen auf einer schmalen Bank katheterisieren. Klingt anstrengend? Ist anstrengend. Daher ist unsere pragmatische Lösung, ihr an solchen Tagen einen Dauerkatheter zu legen. Judith dankt uns, dass wir ihr diese umständliche Pflegeprozedur ersparen und wir sind froh, dass wir länger am Stück radeln können.

Für mich, für uns ist wichtig geworden, die eigenen Grenzen realistisch einzuschätzen. Wir haben vieles erlebt, was „aus der Kalten heraus“ viele Kraftreserven fordern kann. Daher füllen wir unsere Akkus auch prophylaktisch auf. Wir überlegen: Wie viel ist wirklich notwendig? So haben wir beschlossen, dass Sebastian Teilzeit arbeitet und ich ganz auf die Arbeit verzichte. Ein Modell, dass Vor- und Nachteile hat, für uns persönlich überwiegen die Vorteile. Bei allen finanziellen und sonstigen Nachteilen ist das für uns persönlich die Möglichkeit, Kraftreserven für forderndere Zeiten zu aktivieren.

Eine weitere Kraftreserve ist unser Glaube. Wir alle sind evangelisch und leben unseren Glauben auch im Alltag. Der Glaube ist für uns eine Stütze, dass hinter allem was passiert, ein Gott steht der uns kennt und sieht.

Soweit meine Gedanken zur eigenen Haltung die dazu beiträgt, dass ich für uns eine hohe Lebensqualität sehe. Wie gesagt- es ist unser Weg, den wir gefunden haben. Jede Familie hat eigene, vielleicht auch ganz andere Wege, zu leben. Gerne könnt Ihr mir schreiben, wenn Ihr weitere Strategien habt. Hier in den Kommentaren oder auf Twitter

Nächste Woche wird es dann um Ressourcen gehen die die Gesellschaft und unser Umfeld bereit hält…

„Wie macht Ihr das bloß!?“

Eine typische Situation: wir lernen jemanden kennen, man hält Smalltalk, das Thema „Kind mit Behinderung“ kommt zwangsläufig irgendwann zur Sprache (wenn es nicht sogar der Gesprächsaufhänger war), wird mirnichtsdirnichts zum zentralen Thema, das Gegenüber bekommt immer größere Augen wenn ich geduldig Fragen zu unserem Alltag beantworte und früher oder später platzt es heraus:

WIE MACHT IHR DAS EIGENTLICH!?

Die Intention kann verschieden sein: zweifelnd („also ich könnte das nicht!“) oder auch interessiert, staunend („Erzähl mal, wie kriegt Ihr das so hin?“). Eine Frage, die sich werdende oder bereits praktizierende Eltern eines behinderten Kindes am Anfang auch stellen. Vielleicht hast Du gerade eine Diagnose für Dein noch ungeborenes oder Dein schon seit einiger Zeit lebenden Kindes bekommen. Und Du fragst Dich: Wie soll ich das schaffen?

Ausgehend von all diesen Fragen möchte ich Euch mitnehmen in eine Themenreihe mit Beispielen und Anregungen, wie man eine hohe Lebensqualität (auch mit Bonus-Herausforderungen!) lebt. Ich werde es unterteilen in die Bereiche:

  1. Einstellung, Haltung
  2. Ressourcen im persönlichen Umfeld
  3. Gesellschaftliche Ressourcen
  4. Individuelle Ressourcen

Seid gespannt, nächste Woche geht es um die Einstellungen und die Haltung!