Archiv der Kategorie: Leben mit Pflegedienst

Trachealkanüle reinigen, Arbeitsschritte nachvollziehen

Spätestens nach einer Woche wird die Trachealkanüle gewechselt. Die Kanüle die wir gerade verwenden darf laut Hersteller bis zu 28 Tage benutzt werden. Wir haben daher dauerhaft zwei Kanülen im Einsatz, die abwechselnd eingesetzt werden. Neben der Reinigung unter fließendem Wasser erfolgt eine Grundreinigung und dann eine Desinfektion. Die Arbeitsschritte dauern einige Zeit und so liegt die Kanüle eine Weile im Badezimmer rum, verschiedene Menschen führen verschiedene Arbeitsschritte aus. In der Vergangenheit musste ich viel reden, denn selbstverständlich möchten alle Beteiligten, die gerade im Dienst sind wissen, ob die Kanüle gerade gereinigt/desinfiziert werden muss, was gerade im Reinigungs/Desinfektions-Behälter passiert oder ob sie nur noch trocknet. Viel Verwirrung und Potenzial für nicht sachgemäße Aufbereitung ist da vorprogrammiert. Daher haben wir begleitend zu den verschiedenen Schritten ein kleines einlaminieres Heftchen, auf dem der jeweilige Arbeitsschritt ersichtlich ist. Wenn ein Schritt erledigt ist, wird weiter geblättert:

Bildbeschreibung: einlaminierte Kärtchen mit zwei Schlüsselringen zusammen gehalten. Beschriftung: „Schrit 1a, reinige mich. mit Stäbchen unter fließendem Wasser, dann 10-20 Minuten in die flache Dose mit 300 ml Wasser + 1 Löffel grünem Pulver einlegen. Danach nochmals unter Wasser reinigen, bis die Kanüle sichtbar sauber ist, dann Schritt 1b“
Bildbeschreinung: „Schritt 1b, ich werde gerade gereinigt. wenn fertig, dann weiter mit Schritt 2a“
Bildbeschreibung: Schritt 2a, desinfizier mich. in hohem Behälter mit 480 ml Wasser + 20 ml grüne Desinfektionslösung einlegen, anfangs gründlich schütteln, dann Schritt 2b
Bildbeschreibung: Schritt 2b, ich werde gerade desinfiziert. 30 Minuten lang, wenn fertig: Behälter nochmals schwenken und dann gründlich unter klarem Wasser abspülen, à Schritt 3
Bildbeschreibung: Trachealkanüle und Führungsstab liegen auf einem Einmalwaschlappen. Daneben das aufgeklappte einlaminierte Schild: Schritt 3, ich trockne. Auf Einmalwaschlappen legen, wenn trocken, dann bitte zurück in die Dose und dann in die rote Kiste

Kleines gebasteltes Dankeschön

Im Alltag umgeben uns viele unterstützende Hände: Pflegekräfte, Therapeuten, Ärzte, Assistenten, denen wir zutiefst dankbar sind. Neben einem ausgesprochenem Dankeschön kann auch ein kleines Geschenk den Dank ausdrücken. Selbstgemachte Dinge kommen immer gut an, noch besser, wenn sie einen praktischen Nutzen haben oder sich verbrauchen. So gab es z. B. schon mal selbstgemachte Lippenpflege oder ein Ladekabel mit vielen Adaptern dran. In diesem Jahr gab es zwei Dinge: ein Lesezeichen und eine Kerze dazu, beides selbstgemacht.

Bildbeschreibung: ein Lesezeichen mit getrockneten Blättern und Blüten und ein Teelicht mit bunt gestreiftem Rand

Die Lesezeichen bestehen aus gepressten Blättern und Blüten die ich einlaminiert habe. Unten dran ist eine Kordel:

Bildbeschreibung: viele Lesezeichen liegen übereinander. Sie sind durchsichtig und vereinzelt sind gepresste Blüten und Blätter eingeschlossen.

Zum Lesezeichen dazu gibt es eine Überraschungs-Kerze. Auf den ersten Blick sehen die Kerzen wie gewöhnliche Teelichter aus:

Bildbeschreibung: übereinandergestapelte Teelichter, der Rand ist mit buntem Washitape verziert

Jedoch gibt es einen Clou; brennt das Teelicht ganz runter, kommt eine Botschaft zum Vorschein, in diesem Fall ein Dankesgruß. Hier seht Ihr die Vorlagen, die ich unterschiedlich angemalt habe:

Bildbeschreibung: 30 verschieden angemalte und gestaltete Kreise, in denen „vielen Dank“ oder „Dankeschön“,… steht.

Die Kreise werden ausgeschnitten und unten ins Teelicht gelegt:

Bildbeschreibung: Teelicht, der Wachsteil ist herausgenommen, unten auf dem Boden des Aluminiums liegt ein runder Kreis auf dem „herzlichen Dank“ steht

Zum Schluss wird der Rand noch mit Washitape beklebt. Wenn Ihr auch so etwas basteln wollt, findet Ihr viele Vorlagen zum Herunterladen im Internet, z. B. hier. Meine Dankeschön-Vorlagen könnt Ihr hier herunterladen:

Unterstützte Kommunikation in der Pflege: wo ist die Nahrung!?

Judith hat eine Jejunalsonde, über die sie ernährt wird. Aus verschiedenen Gründen geht das bei ihr nur mit industriell hergestellter Sondenkost. Hierfür gibt es 500 ml-Behälter, die jedoch niemals in einem Schwung verbraucht werden; es bleibt immer etwas übrig. Die Nahrung wandert also fröhlich zwischen Pumpe, Pflegewagen und Kühlschrank hin und her, neue Behälter stehen wieder woanders und zu Beginn einer Nahrungsgabe ging erst mal das große Suchen los…

Zeit, das zu ändern!

In der Nähe des Betts hängt eine laminierte Übersichtstafel. Auf dieser Tafel gibt es vier Möglichkeiten wo man suchen könnte. Praktischerweise wurde bei der letzten Nahrungsgabe eingestellt, wo die Nahrung zu finden ist: im Kühlschrank, in der Pumpe, auf dem Pflegewagen oder: es muss eine neue angebrochen werden. Die Markierung erfolgt mit einer Wäscheklammer. Für den Vorgänger ein schneller Handgriff, für den Nachfolger eine Arbeitserleichterung: es muss nicht mehr gesucht werden…

Bildbeschreibung: an einem Regal hängt ein einlaminiertes Blatt. Überschrift: WO ist die Nahrung? Darunter vier Felder die mit gestempelten Buchstaben und passenden Symbolen illustriert sind: im Kühlschrank/neue holen!/auf dem Pflegewagen/läuft. Eine Holzwäscheklammer hängt bei „im Kühlschrank“

Auch in anderen Kontexten haben wir uns schon die Möglichkeiten der „Unterstützten Kommunikation“ zu Nutze gemacht. Auf vielfältige Weise bereichert UK somit unseren Alltag!

P.S.: Wenn Du Dich für diesen Beitrag bedanken möchtest, kannst Du mir gerne über Paypal ein Trinkgeld geben. Klick hier!

Entspannungs-Ort gefunden

Judith kommuniziert ja non-verbal. Das bedeutet, sie zeigt uns über Laute oder ihr Verhalten was ihr wichtig ist. Dazu bedarf es auch Begleit-Personen, die sie gut beobachten. So ergab sich neulich zwischen zwei Pflegekräften bei der Übergabe folgender Dialog:

„Die Judith hatte heute zuerst schlechte Laune. Komischerweise änderte sich ihre Laune, als sie unter den Hängeschränken in ihrem Zimmer stand. Plötzlich machte sie gute-Laune-Geräusche.“

Andere Pflegekraft: „Interessant, das habe ich auch schon mal beobachtet. Dann war das kein Zufall… Vielleicht ist das ihr Wohlfühl-Ort?“

Bildbeschreibung: eine weisse Wand, in etwa 1 m 50 cm hängen mehrere weiße Hängeschränke

Und so probierten sie es weiter aus; Immer wenn Judith in ihrem Zimmer mit dem Therapiestuhl unter den Hängeschränken stand, besserte sich ihre Laune.

Bildbeschreibung: Jugendliche (Gesicht mit Smiley unkenntlich gemacht) sitzt in einem Therapiestuhl unter Hängeschränken

Nun, wir haben ja alle mehr oder weniger spezielle Wohlfühlorte und Judith kann anscheinend perfekt unter dem Hängeschrank chillen. Warum auch nicht.

Um den Ort noch etwas schöner zu machen hatte die Pflegekraft die Idee, Judiths Interesse für den Blick nach oben und Muster so richtig zu erfüllen: sie hängte ein Bild aus Judiths Muster-Kalender unter den Schrank. Und nun ist es ein Entspannungs-Ort, wie er perfekter nicht sein könnte. Dank zweier Menschen, die gut beobachtet haben und ihre Bedürfnisse ernst nehmen!

Bildbeschreibung: Perspektive des Schranks von unten; man blickt auf ein Poster mit symmetrisch angeordneten Ellipsen, jeweils zwei sind verschoben in unterschiedlichen Farben übereinander

P.S: unter #BlickNachOben poste ich auf Twitter immer mal aus Judiths Perspektive…

Übersicht: wer kommt?

Durch den fragilen Gesundheitszustand ist Judith auf die Betreuung von Pflegefachkräften angewiesen. Monat für Monat kommt ein Dienstplan, in dem steht, wer wann kommt. Wir übertragen die Dienste in einen Taschenkalender, so dass wir Eltern schnell nachschlagen können wer wann da ist. Für uns ist das wichtig zu wissen wer kommt, da die Pflegekräfte aus familiären Gründen teilweise verschiedene Arbeitszeiten haben. Auch Judith braucht in ihrem Leben Verlässlichkeit.

So kam es also nicht selten vor, dass wir mit der Pflegekraft grübelnd und spekulierend am Bett standen und überlegten, wer wohl als nächstes kommt. Eine für alle nicht glückliche Situation.

Bildbeschreibung: zwei Leisten übereinander. In jeder Leiste stecken einlaminierte Fotos bzw. ein Symbol „kein Pflegedienst“. Die obere Leiste ist mit „heute“ markiert, die untere mit „morgen“. Rechts hängt der jeweilige Wochentag an der Leiste

Die Lösung: eine Übersicht am Schrank gegenüber des Bettes. Die Leisten habe ich im Internet unter dem Stichwort „Bonleiste“/„Bonschiene“ entdeckt. Sie sind wohl eigentlich für die Gastronomie, um Kassenzettel einzuschieben. Die Leisten sind mit „heute“ und „morgen“ gekennzeichnet. Der Wochentag kann flexibel per Magnet verändert werden. Da Judith von unten hochschaut, habe ich sie an die schräge Leiste gemacht.

Bildbeschreibung: einlaminierter Wochentag von hinten. Zwei runde Magnete sind mit Klebeband unten festgeklebt

Jede Pflegekraft im Team hat ein Foto. Die Fotos sind einlaminiert, oben ist ein längerer Rand, der in der Schiebeleiste verschwindet. Manche Pflegekräfte wollten lieber ein Pictogramm. Dank Metacom konnten wir auf eine umfangreiche Sammlung zugreifen und die Bilder um individuelle Eigenschaften ergänzen.

Bildbeschreibung: zwei einlaminierte Bilder mit jeweils einer Person drauf mit charakteristischen Eigenschaften wie Frisur, übliche Oberteilfarbe oder Piercings

Weitere Schildchen lagern im Nachbarschrank in einer Dose.

Bildbeschreibung: eine flache grüne Brotdose, darin einlaminierte Schildchen mit Wochentagen und Symbolen

Nun weiß jede*r Bescheid, wer als nächstes kommt!

P.S.: auch wiederkehrende, zeitlich nicht festgelegte Pflegeabläufe lassen sich mit dem Metacom-System gut dokumentieren.

Medikamente für verschiedene Zeiten kennzeichnen

In der häuslichen Intensivpflege müssen häufig verschiedenste Medikamente zu unterschiedlichen Zeiten gegeben werden. Jedes Medikament hat daher seine eigene, beschriftete Spritze um sie entsprechend zuzuordnen.

Auch die Zeiten sollen gut zuordbar sein, hier stellte ich schon mal unsere Waschlappen-Variante vor.

Unterwegs bietet sich eine Kulturtasche an.

Bisher nutzten wir zur Kennzeichnung der Zeiten einlaminierte Zettel. Jetzt probieren wir eine neue Methode aus:

Bunte Wäscheklammern, auf denen jeweils Uhrzeiten stehen

Jeder Urzeit ist eine Farbe zugeordnet. Die Wäscheklammern werden entweder an die Waschlappen oder eben an die Fächer der Kulturtasche geklammert:

Waschhandschuhe, an denen jeweils eine bunte Klammer mit Uhrzeit klemmt

Medikamentenspritzen organisieren

Hat das Kind viele Medikamente zu unterschiedlichen Zeiten, kann es schon mal unübersichtlich werden. Das wichtigste für uns ist also: jede vorbereitete Spritze ist beschriftet. Manchmal ist es erforderlich, die Spritzen für den Tag schon vorzubereiten, z. B. bei Ausflügen. Hier stellte ich schon einmal eine Möglichkeit dazu vor.

Auch zu Hause bereitet der Pflegedienst oder wir in der Nacht die Spritzen für den Tag vor. Nachts ist hierfür einfach mehr Zeit, tagsüber ist die Medigabe dann schneller erledigt. Zu Hause bietet sich auch pro Medikamentenzeit eine Aufbewahrung an. Wir lösen das mit beschrifteten Waschlappen, in die die Spritzen gesteckt werden:

Bildbeschreibung: ein grüner, gelber und blauer Waschlappen liegen nebeneinander. Oben am Rand ist ein quer aufgenähter Flausch-Klettstreifen, auf jedem Waschlappen klebt über dem Streifen eine quadratische einlaminierte Karte, auf der eine Uhrzeit steht

Auf die Waschlappen wird quer ein Flausch-Klett-Streifen genäht. Desweiteren gibt es eine Sammlung mit Uhrzeiten, die alle einlaminiert sind. Zum einen gibt es kleinere Zettel, die hinten ein Haken-Klebeklett haben die direkt auf den Waschlappen geklettet werden, zum anderen gibt es längere Streifen, die zusätzlich in den Waschlappen gesteckt werden können und oben rausschauen. So sieht man auf einen Blick, für welche Zeit die Medikamente sind. Zudem hat es sich so eingeschlichen, dass inzwischen jede Zeit eine zugewiesene Farbe hat.

Bildbeschreibung: eine ovale durchsichtige Schale, darin verschiedenfarbige und unterschiedlich große einlaminierte Zettel

P.s: ein besonderer Gruß geht in diesem Zusammenhang raus an zwei meiner Twitterfollowlinge: _S_Rodenbusch_NRW fragte wo sie im Blog den Beitrag über die Waschlappen fände (und ich stellte erstaunt fest dass ich diese Lösung hier noch nie vorgestellt habe obwohl das ein seit Jahren funktionierendes System ist!) und Tanya, die das Foto auf meinem Profil fand 🙋‍♀️

Halterung für Beatmungsschlauch

Bildbeschreibung: ein etwa Daumendicker Schlauch, der in einer Klemme steckt. Zwischen Schlauch und Klemme steckt ein dicker Stoff um den Schlauch gewickelt

Wenn ein Beatmungsschlauch an etwas reibt, macht das ein lautes Geräusch. So auch im Schlaf, wenn das Beatmungsgerät außerhalb des Bettes steht und man selber logischerweise drinnen liegt. Eine Möglichkeit, den Schlauch an dieser Reibung zu hindern ist ihn über den Betteilen zu fixieren, zum Beispiel mit einer „Halterung für Babyphon“. Unter diesem Stichwort findet man in Internetkaufhäusern eine breite Auswahl. Meist sind diese Halterungen breiter konzipiert. Mit einem kleinen Stück dickem Stoff (z. B. Neopren) bekommt man die Stabilität hin.

Bildbeschreibung: eine Ecke eines Pflegebettes von oben. Ein Beatmungsschlauch wird von einer Halterung mit einem längeren Arm gehalten. Die Halterung klemmt am Bett

Die Pandemie und wir. Stand Januar 2021

Familie Neustadt habe ich über ihren Blog 22monate.de kennen gelernt. Wir haben viel Verbindendes und so wurde aus dem virtuellen Kontakt eine ganz reale Freundschaft. Wir planten, dass ich einen Beitrag für ihre Werkstatt schreibe. Was liegt da näher, als aus unserer ganz individuellen Sicht unser aktuelles Leben in Zeiten von Corona zu beschreiben. Der Text wird gleichzeitig auch bei 22monate.de erscheinen.

Es ist Januar 2021. Mal wieder ist der Lockdown spürbarer, die Zahl der Corona-Infizierten fällt, steigt, fällt. Corona macht sich auf der ganzen Welt breit. Das hat Auswirkungen auf das Leben eines Jeden. 
Gerne möchte ich Euch einen Einblick geben was das bedeutet für eine Familie mit einem Kind mit Komplexer Behinderung. Für mich selber ist der Text ein Zeitdokument, das ich in ein paar Jahren lese und denke: so war das, damals.
Der heutige Alltag ist ein anderer geworden, auch wenn uns vieles auch schon vor Corona vertraut war: Mundschutze hatten wir eh vorrätig. Dass Judith mal länger nicht die Schule besuchen kann, ist leider auch schon ein erprobtes Szenario. Viren, die man auf keinen Fall haben will, weil sie schlimm krank machen können? Damit leben wir. Ein Leben „von heute auf morgen“, jederzeit mit einem Ausnahmezustand rechnend, praktizieren wir ebenfalls seit gut 13 Jahren.

Judith gehört mit ihren Diagnosen eindeutig zur Risikogruppe, eine Infektion mit dem Coronavirus wäre fatal. Nicht nur sie muss geschützt werden, auch wir Eltern sind gefordert, alles zu tun, um uns nicht zu infizieren.
Dass aber nicht nur wir in einem Ausnahmezustand sind, sondern die ganze Welt beteiligt ist, ist gewöhnungsbedürftig, noch immer. Ich finde es nach wie vor höchst komisch mir vertraute Menschen, die ich aus einem nicht-medizinischen Kontext kenne, mit Mundschutz zu erleben. Und bin gleichzeitig sehr dankbar für jeden, der den Schutz der anderen ernst nimmt und den Mundschutz konsequent (und richtig) trägt.

Der Kinder-Intensivpflegedienst darf weiterhin kommen, was für ein Glück. Es schwingt jedoch jederzeit die Sorge mit, dass der eh schon sehr knapp belegte Dienstplan weiter zusammenschrumpft, weil eine Pflegekraft in Quarantäne muss. Und da uns die Pflegekräfte ans Herz gewachsen sind, beruht die Rücksichtnahme auf Gegenseitigkeit. Die Pflegekräfte tragen den ganzen Dienst über Mundschutz.
Wir tragen einen Mundschutz, wenn wir den Pflegekräften in der Wohnung begegnen. Sobald ich zu Hause Schritte höre, greife ich zur Maske. In der Hosentasche ist der Mundschutz stets griffbereit. Das Schlafzimmer ist der einzige Raum unserer Wohnung, in dem ich keinen Mundschutz trage.
FFP2-Masken sind seit Frühjahr 2020 unsere Chance, wieder einigermaßen entspannt einen Supermarkt betreten zu können. Im Januar 2021 wurde das Tragen von FFP2- Masken in den Öffentlichen Verkehrsmitteln beschlossen. Nun also für alle, auch schön.

Schule. Tja.
Längere Fehlzeiten hatte Judith schon immer mal. Nur: dieses Mal sollte sie zu Hause bleiben, obwohl es ihr gesundheitlich gut geht. Diesen Umstand zu verstehen und zu akzeptieren fiel ihr lange Zeit schwer. Sie verfiel in eine Lethargie, zog sich zurück. Aber auch das ist Judith: sie reagiert erst einmal mit großer Ablehnung auf alles Neue, protestiert, um es dann nach einiger Zeit in ihren Alltag zu integrieren und als gegeben anzunehmen. Wird dann wieder etwas geändert, wird auch dagegen erstmal protestiert. So hat sie sich mittlerweile (Stand Januar 2021) recht gut arrangiert.
Eine spürbare Erleichterung zeigte sie, als nicht nur sie zu Hause blieb, sondern die Schule für alle Schüler geschlossen wurde. Somit wurde die vermisste Gerechtigkeit für sie wieder hergestellt. Spannend wird es werden, wenn die Schulen wieder öffnen. Wir werden sie aber vermutlich vorerst weiter zu Hause beschulen und die Fallzahlen weiter beobachten.
Die Schule hat mittlerweile eine Lernplattform eingerichtet, auf der regelmäßig neue Inhalte eingestellt werden. So ist das iPad treuer Alltagsbegleiter für Judith geworden und „komm, wir gucken mal, ob es was Neues von der Schule gibt“ lässt dieStimmung steigen. Aktuell geht es um das Thema „Religionen“, wir haben Filme über das Judentum gesehen, ein eigenes „Kirchenfenster“ gebastelt, ein Salzlicht beim Entstehen beobachtet, …
Zweimal wöchentlich gibt es neuerdings für eine halbe Stunde Online-Unterricht. Judith hat großes Interesse an diesen Events, so kann sie die ihr vertraute Menschen sehen, sogar mal ohne Mundschutz.
Auch der Konfirmandenunterricht findet online statt. Judiths Assistentin sitzt mit FFP2-Maske außerhalb des Bildschirms und antwortet für sie, wenn Fragen gestellt werden. Nach einigem Ausprobieren scheint es sich zu bewähren, wenn Judith die Fragen ein paar Tage vorab bekommt, so dass wir in Ruhe über eine ja/nein-Abfrage eine Antwort herauskitzeln können.
So war mal eine Frage: „Was war Dein liebster Gottesdienst?“ Nach einer Stunde Fragen und überlegen stand die Antwort: der Traugottesdienst ihrer Tante, damals, vor sechs Jahren. Warum? Weil der Pastor in der Predigt eine Clownsnase aufgesetzt hat und weil Judith Blumenmädchen war. Es wäre außerhalb des Möglichen gewesen, diese Antwort während des Konfiunterrichtes zu erfahren und gleichzeitig noch den Anderen zuzuhören!

Soziale Kontakte sind seit März 2020 stark reduziert. Unser großes Glück war, dass uns im Sommer ein Kleingarten zufiel. Den teilen wir uns mit einer Freundin. So hatten wir im Sommer viele schöne Begegnungen an der frischen Luft. Judith bekam einen Stammplatz unterm Baum, ein Radio und eine Hängematte und so konnten wir einen recht unbeschwerten Sommer erleben. Für Gemeinschafts-Arbeiten steht auch im Garten der obligatorische Mundschutz-Karton und wir waren von Tag eins an die Freaks, die mit „dem“ Kind, die auch draußen Mundschutz tragen. Durch den Garten hatten wir einen Ort, an dem wir pandemiegerecht Freunde und Familie empfangen und bewirten können.

Wieder einmal mache ich mir Gedanken über die gesellschaftliche Stellung von Kindern, die in ihren Familien gepflegt werden. Sie rücken gerade gefühlt noch weiter aus der öffentlichen Wahrnehmung. Ich las erste Listen, wer kostenlose FFP2-Masken bekommt. Menschen mit COPD, Menschen mit Asthma. Beides hat Judith nicht. Sie hat auch keine Trisomie 21. Damit erfüllt sie formal keine der Anforderungen auf der Liste. Ich habe beim Bürgertelefon zur gesundheitlichen Prävention des Bundesgesundheitsministerium angerufen. Habe gesagt: Meine Tochter ist schwerkrank, sie wird in diesen Listen nicht berücksichtigt. Sie haben so ziemlich alle chronisch kranken Menschen unter 60 vergessen. Sie wollten es weitergeben. Irgendetwas muss passiert sein, denn tatsächlich haben wir jetzt Maskengutscheine zugeschickt bekommen. Mir geht es nicht um drei kostenlose FFP2-Masken. Seit März letzten Jahres kaufen wir sie. Das ist ok, wir können es uns leisten, passt schon. Aber: wird diese Personengruppe gesehen? Und wenn ja, wie wird sie gesehen?
Was ist mit der Impfung? Stand heute ist sie erst für Menschen ab 16 Jahren zugelassen. Judith ist 13. Sie fällt also auch hier „raus“. Die Listen, wer wann geimpft wird, entsprechen für so manche Personengruppe nicht immer der Dringlichkeit. Wir warten geduldig und beobachten hier die weiteren Entwicklungen.

Nun macht Judiths Grunderkrankung keine Pause. Die Arztbesuche vor Ort reduzieren wir auf ein Minimum, vieles lässt sich telefonisch oder per Mail klären. Spannend war und ist die Material- und Medikamentenversorgung. Es ist immer wieder eine Zitterpartie, ob bestimmte Medikamente oder Hilfsmittel lieferbar sind. Und wenn nicht, durch was diese ersetzt werden. Ein sondengängiger Magenschutz ist seit Monaten nicht lieferbar, Judith bekommt dieses Medikament nun zusammen mit dem Essen über den Mund, was nicht wirklich optimal gelöst ist. Es bleibt spannend, wie sich der Markt weiter entwickeln wird. Wir müssen aktuell ein genaues Auge auf alle Vorräte werfen, mit den Versorgern im engen Kontakt stehen, damit keine großen Versorgungsengpässe entstehen.
Unser ganz großes Bestreben ist, dass Judith -nicht nur jetzt- um einen Krankenhausaufenthalt herumkommt. 2020 war sie einige Male stationär; Es war gefühlt jeden Tag eine andere Zugangsregelung: mit Ausfüllen eines Besucherbogens/mit Passierschein (Worte, die ich bisher nur aus „Astérix“ kannte), mit/ohne Temperaturmessung, wahlweise mit Datums-Aufkleber: „Besucher“, Begrüßung durch einen Security-Menschen, der den Mundschutz mal unter der Nase, mal gar nicht oder auch korrekt trug.

Ich weiß nicht, wie es aktuell so ist. Gibt es wieder Händedesinfektionsmittel in jedem Spender? Dürfen Eltern ganztags ihre Kinder besuchen kommen? Wie aus- und überlastet ist das Personal? Wie voll ist aktuell Judiths Stamm-Klinik? Wird sie aufgenommen, wenn es sein müsste? Oder müsste sie in eine Klinik, die weiter weg ist? Szenarien, die mir durch den Kopf gehen. So habe ich für die eigene Planbarkeit mittlerweile wieder einen gepackten Koffer den ich im Fall der Fälle greifen kann, um bei Judith sein zu können wenn sie ins Krankenhaus muss. Innerlich bin ich darauf eingestellt dann 24/7 die Pflege zu übernehmen.

In mancherlei Hinsicht müssen wir also mit mehr Unsicherheiten leben.
Es gäbe viel zu verbessern, zu jammern und zu beanstanden. Und doch… sind wir in Frieden mit dem, wie es sich jetzt „eingeruckelt“ hat. Die Einschränkungen sind fühl- und sichtbar. Wir sind damit nicht allein und es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir geben unseren kleinen Teil dazu, nehmen die Einschränkungen in Kauf in der Hoffnung, dass die Situation irgendwann für alle wieder besser wird.

Inventur/Materialbestellung

Judith hat einen ziemlich hohen Bedarf an Verbrauchsmaterialien. Zum Beispiel braucht sie für die Medikamentengabe über die Sonde einen Button, Spritzen, Sicherheitsverbinder und die Medikamente. Diese Dinge werden von unterschiedlichen Lieferanten beliefert: Medikamente aus der Apotheke, der Rest von der „Sondenschwester“ (ja, das ist ihre Bezeichnung). Bei all diesen Dingen gibt es -bei stabilem Medikamentenplan- einen sehr regelmäßigen monatlichen Verbrauch.
Ähnlich ist es bei Beatmungsequipment. Auch hier verbraucht sie z.B. pro Monat regelmäßig zwei Schläuche. Der Verbrauch beim Sauerstoff hingegen ist variabel, auch die Bedarfsmedikamente (Fieber, Erbrechen, etc.) ist variabel. Und dann gibt es noch die Dinge, die der Pflegedienst bzw. wir zur Pflege und für einen reibungslosen Ablauf brauchen und selber kaufen, z.B. Müllbeutel, Putzmittel, Klopapier.

Ihr seht: ziemlich viel Kram der koordiniert werden muss!

Bisher lief das so ab:

ein armer Tropf, der zufällig an einem festgelegten Tag Nachtdienst hatte war (und das alle zwei Wochen) verdonnert, ALLES zu zählen. Und mit alles meine ich wirklich alles. Denn die Apotheke, die die Medikamentenbestellung koordiniert, möchte es z.B. Tablettengenau. Und um zu wissen wann Spritzen, bei denen Judith einen recht hohen Verbrauch hat, nachgeordert werden müssen, braucht man auch eine recht genaue Zahl. Dann wurden die zu bestellenden Dinge auf eine Liste geschrieben, ich habe diese an die jeweiligen Lieferanten übermittelt und wenn dann so nach und nach alles eintrudelte, wurde es einsortiert und auf der Liste abgehakt. In der Summe war das viel Zählerei, immer wieder wurde Kritik geäußert und der Wunsch nach Vereinfachung. Auch rutschte immer wieder etwas durch und plötzlich stand man vorm leeren Regal. Einen Überblick hatte man auch nicht wirklich, denn so eine Zahlenmasse ist dann doch abstrakt.

Die Idee war also: auf einen Blick sieht man, was fehlt!

Nach langem, langem Grübeln haben wir nun ein System, das hoffentlich übersichtlich genug ist:

Viele Materialien haben einen ganz regelmäßigen Verbrauch, z.B. 2 Beatmungsschläuche in vier Wochen. Oder 4 Katheter am Tag. Solche Sachen. Diese Zahlen habe ich den Versorgern übermittelt und der Plan ist, dass sie nun einfach kontinuierlich monatlich geliefert werden. Wenn also die geplanten 60 Spritzen für 4 Wochen kommen, wird ausgepackt und auf einer Liste pro gelieferter Woche abgehakt. So sieht man auf einen Blick, wie lange man noch hinkommt.

Auch bei den Medikamenten trägt man es so ein. Beispiel Magnesium. In einer Packung sind 100 Tabletten, das sind 14 volle Wochen (14×7=98). Also werden auf der Liste 14 Wochen abgekreuzelt und man sieht gleich, wann wieder welche nachbestellt werden müssen.

Es muss also nicht mehr gezählt werden, sondern nur noch auf die Liste geschaut werden.

Dann gibt es noch die unregelmäßigen Verbrauchsmaterialien, z.B. Handschuhe oder Bedarfsmedikamente. Die lassen sich nicht vorab kalkulieren. Also werden diese klassisch gezählt und wie bisher bestellt. Jedoch ist der Aufwand nun deutlich kleiner.

Ihr dürft Euch die Listen gerne herunterladen und an Euren Bedarf anpassen.

Da das System für alle neu ist, gibt es eine Anleitung, die direkt neben den Listen am Schrank hängt.