Es macht uns gerade sehr glücklich, dass Judith so gut trinkt. Das war nicht immer so…
Daher möchte ich Euch heute mitnehmen auf eine Zeitreise durch elf Jahre Flüssigkeitsaufnahme. In diesen Jahren haben wir ziemlich viel herumexperimentiert, daher ist dieser Artikel auch sehr lang.
Von vorne:
Judith kam auf die Welt und an Tag 3 war klar: sie konnte zwar an der Brust saugen, aber hatte nicht genug Kraft, die Milch herauszusaugen. Sie schlief vor Erschöpfung ein, wenn sie nicht sowieso eh schon schlief. Also, Plan B: „Fingerfütterung“, und das ging so:
Milch abpumpen, vor der Mahlzeit auf Körpertemperatur erwärmen, mit einer Spritze aufziehen, Kind auf den Schoß, an kleinem Finger nuckeln lassen, Spritze mit in den Mund fädeln und wenn sie saugte, etwas Milch in den Mund geben so dass sie runtergeschluckt werden konnte. Diese Prozedur dauerte pro Mahlzeit so 1 ½ Stunden und kurz danach ging es wieder von vorne los. Judith wurde nach zwei Wochen nach Hause entlassen. Die betreuende Hebamme war Verfechterin des an der Brust-trinkens und brachte noch das Brusternährungsset ins Spiel.
Parallel standen die ersten Kinderarztbesuche an. Nach sieben Wochen Abpumperei sagte die Kinderärztin ich solle den ganzen Quatsch jetzt mal lassen und Judith ganz normal aus der Brust trinken lassen, denn „die Kinder nehmen sich schon was sie brauchen“. Ich beendete also die Abpumperei und stillte wann immer ich dachte dass Judith Hunger haben könnte. Da sie nicht schrie, war es schwierig einzuschätzen. Wenn ich sie auf dem Arm hatte und sie begann sich an meiner Schulter festzusaugen (ihr Spitzname: „unser kleiner Wels“), konnte das ein Indiz sein. Aber immer noch schlief sie oft ein und ich verbrachte gefühlt den Tag mit stillen wann immer sie mal wach war. Etwas verwundert sagte ich zur Hebamme, dass meine Brust noch so voll sei nach den Mahlzeiten aber auch hier Beruhigung „die Kinder nehmen sich schon was sie brauchen“. Naja, immerhin empfahl sie mir noch eine Stillberaterin, die jedoch auch keine weiteren hilfreichen Tricks beitragen konnte.
Mit sieben Monaten bekam Judith die erste Lungenentzündung. Zum ersten Mal nahm ein Arzt unsere Sorge, dass Judith sehr klein, leicht und auch entwicklungsverzögert sei, richtig ernst. Ich musste wieder abpumpen und mit Erschrecken stellte ich fest, dass sehr wenig Milch zusammen kam. Stillproben zeigten, dass Judith einfach zu wenig getrunken hatte… für ihr Alter war sie auch viel zu leicht.
Nun gab es Gespräche mit den Ärzten, die noch ungeklärte Entwicklungsverzögerung kam zur Sprache. Ein Gespräch hing mir besonders lange nach.
Da hier auch Profis mitlesen, schreibe ich heute mal darüber damit Ihr alle wisst, wie man es NICHT machen sollte und wie man mit wenigen Worten eine Mutter nachhaltig verstören kann…
Ärztin: „Judith zeigt ja eine Entwicklungsverzögerung.“
Ich: „Ja.“
Ärztin: „Sie waren ja schon nach der Geburt auf unserer Station und wollten unbedingt stillen. Haben sie die letzten Monate voll gestillt?“
Ich: „Ja.“
Sie: „Damals waren Sie ja Vegetarierin. Haben sie sich die ganze Stillzeit über vegetarisch ernährt?“
Ich: „Ja.“
Sie: „Na dann haben wir hier einen Ansatz woher die Entwicklungsverzögerung kommen kann. Dann fehlen ihrem Kind wichtige Nährstoffe die es für die Entwicklung hätte brauchen können. Dann müssen wir jetzt gucken wie wir das noch gut auffangen können.“
Keine Pointe.
Judith bekam eine Nasensonde (diese wird durch die Nase bis zum Magen geschoben) und darüber bekam sie Infatrini, das ist eine Sondennahrung für Säuglinge. Das Stillen könne ich mir „sparen“. Ein paar Wochen pumpte ich noch weiter ab und verabreichte die Milch zusätzlich- dann hörte ich damit auf. Unsicher, inwieweit ich „Schuld“ an all dem hatte (das Missverständnis konnte der Genetiker nur wenige Monate später übrigens restlos aufklären…).
Die Kinderärztin wiederum beäugte das Infatrini kritisch und nachdem Judith nur dick wurde (tatsächlich war sie zwar zu leicht, aber auch zu klein, im Verhältnis passte alles wunderbar!), wurde das „Infatrini-Experiment“ wieder beendet, es gab nun Säuglingsmilch mit einem Babysauger.
Parallel begannn wir mit Beikost. Auch hier gab es große Schluckschwierigkeiten und das Saugen an der Flasche erleichterte ihr das schlucken.
Mit etwa 1 ½ Jahren wechselte sie auf eine Flasche mit Sportaufsatz und das trinken daraus klappte gut. Sie begann auch, die Flasche selber zu halten.
Dann ging es mit knapp drei Jahren zur Kur. Dort bot ihr eine Logopädin einen Strohhalm an und Judith süppelte auf Anhieb das halbe Glas leer!
Also stieg sie um auf das altersgerechtere Trinken aus dem Strohhalm. Das ging im alltag überwiegend gut.
Immer wieder gab es jedoch Phasen in denen Judith schlechter trank. Das war vor allem, wenn sie krank war. Desöfteren war sie im Krankenhaus (mittlerweile in einem größeren, das mit der Behinderung und den damit zusammenhängenden Begleiterscheinungen besser umgehen konnte) und alsbald erkannte man, dass man mit einer temporären Nasensonde viele Infusionen und teilweise sogar Krankenhausaufenthalte umgehen konnte. Noch einfacher wurde es, als ich darin angeleitet wurde, die Sonde im Bedarfsfall selber zu legen. Ja, auch das kann man nach etwas Überwindung lernen!
Zwischendurch kam die Muskelhypotonie (=schlappe Mundmuskeln) voll zum tragen und das trinken aus dem Strohhalm fiel ihr schwer. Somit boten wir ihr das Strohhalmventil an, hiermit klappte es bedeutend besser.
Irgendwann wurde die Medikamentenmenge umfassender und die Entscheidung für eine PEG fiel. Diese können wir bis heute nutzen, wenn die Trinkmenge nicht ausreichend ist.
Judith trank, wenn es ihr gut ging, wie ein Weltmeister aus dem Strohhalm, trinken war ihr Hobby.
Doch dann, Ende 2017, … (weiter geht es nächste Woche!)